Wenn Wahlen dazu dienen sollen, dem Volk eine Alternative zu bieten, haben die Iren an diesem Freitag das Klassenziel verfehlt. Im Kampf um eine zweite siebenjährige Amtszeit stellt sich Präsident Michael Higgins fünf Gegenkandidaten, von denen einer schwächer auftritt als der andere. Das jämmerliche Bewerberfeld dürfte mit zwei Phänomenen zu tun haben: Das politische Establishment ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. Und instinktiv wittern die knapp fünf Millionen Iren, dass ihnen mit dem für Ende März geplanten EU-Austritt des viel größeren Nachbarlands Großbritannien turbulente Zeiten ins Haus stehen.

Vieles spricht deshalb dafür, beim Bewohner des Dubliner Amtssitzes mit dem klingenden gälischen Namen Áras an Uachtaráin ein wenig Kontinuität wahren zu lassen. Schließlich hat der frühere Labour-Kulturminister Higgins, 77, seine Sache nicht schlecht gemacht. Gemäß seinen von der Verfassung vorgegebenen geringen Kompetenzen hielt sich der Dichter aus der Tagespolitik heraus, repräsentierte die Grüne Insel würdig bei Staatsbesuchen und machte nie durch Skandale von sich reden.

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Weitgehend untadelig: Michael Higgins.
Foto: REUTERS/Clodagh Kilcoyne

Flugaffäre als einziger Makel

Im Wahlkampf allerdings kam plötzlich die Rede auf einen merkwürdigen Flug ins kaum mehr als 250 Kilometer entfernte Belfast, wo der Präsident einen Vortrag zu halten hatte. Die teure Fortbewegung sei ihm "aus Sicherheitsgründen" nahegelegt worden, ließ Higgins mitteilen, was der Präsidentenkanzlei einen peinlichen Widerspruch der nordirischen Polizeibehörde PSNI einbrachte: Selbstverständlich hätte man auch am Boden für die Sicherheit des Besuchers gesorgt.

Eine Petitesse, gewiss. Immerhin ließ Higgins' empfindliche Reaktion auf alle Nachfragen den Schluss zu, dass der ältere Herr sich ein bisschen zu sehr an die Ehrerbietung gewöhnt hat, die dem Präsidenten in Irland entgegengebracht wird. Dennoch: Bei der letzten TV-Debatte am Dienstag überragte der kurzgewachsene Mann die drei männlichen und zwei weiblichen Mitbewerber rhetorisch haushoch.

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Auf Kürbissen prangen die Antlitze der Präsidentschaftskandidaten in Irland.
Foto: REUTERS/Clodagh Kilcoyne

Kurioserweise sind sämtliche Männer der Wählerschaft aus der irischen Version von "Die Höhle der Löwen" bekannt. Dabei handelt es sich um eine TV-Show, in der Möchtegern-Unternehmer etablierten Geschäftsleuten ihre Ideen präsentieren und um finanzielle Starthilfe bitten. Was außer persönlicher Eitelkeit die Herren zur Kandidatur ums höchste Staatsamt bewog, blieb trotz ihrer unbestreitbaren Telegenität offen.

Ähnlich liegt der Fall bei der Zählkandidatin der links-nationalistischen Sinn-Féin-Partei, der Europaabgeordneten Liadh Ní Riada. Wenig präsidentiell wirkt auch Joan Freeman; immerhin vertritt wenigstens die unabhängige Psychologin ein wichtiges Anliegen: die bessere Fürsorge für psychisch Kranke und Suizidgefährdete.

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Bei der Debatte strahlte nur einer: Michael Higgins.
Foto: REUTERS/Clodagh Kilcoyne

Wenig Spannung programmiert

Spannend dürfte bei der Auszählung am Wochenende lediglich die Höhe der Wahlbeteiligung sowie Higgins' Stimmenanteil werden. Dann wendet sich das politische Dublin wieder den beiden Hauptthemen zu: dem nächsten Wahltermin, der früher oder später durch das Scheitern der Minderheitsregierung von Premier Leo Varadkar fällig werden dürfte; und den Brexit-Folgen, vor allem der zukünftigen Grenze zu Nordirland.

Zur politischen Blockade in der britischen Nordostprovinz hat Higgins eine politische Initiative angekündigt. Seit beinahe zwei Jahren verweigern Sinn Féin und die unionistische DUP die eigentlich vom Friedensabkommen vorgesehene Regierungsbildung. Im politischen Vakuum gedeiht der Extremismus, die Debatte über eine Schließung der kaum noch wahrnehmbaren Grenze tut ihr Übriges, schon werden Befürchtungen laut, die Gewalt des vor zwanzig Jahren beendeten Bürgerkriegs könne zurückkehren. "Die Angst ist real", urteilt der Dubliner Ökonomieprofessor Edgar Morgenroth. Was auch immer der alte und mutmaßlich neue Präsident zum Abbau der Spannungen beiträgt – den Iren kann es nur recht sein. (Sebastian Borger aus London, 25.10.2018)