Die "Migrantenkarawane" ist noch mehrere tausend Kilometer von der Grenze der USA entfernt. Mit Blick auf die Midterm-Elections Anfang November spricht die US-Regierung trotzdem schon von einem "Notfall an der Grenze". Donald Trump will mit unbewiesenen Behauptungen Midterm-Wähler mobilisieren.

Foto: AFP / Pedro Pardo

Es ist eine Untertreibung – und zwar vielleicht die einzige, die zum Thema "Migrantenkarawane" zuletzt aus dem Weißen Haus zu hören war: "Es kommt nicht darauf an, ob das alles zu hundert Prozent korrekt ist", zitierte das Magazin "Daily Beast" am Mittwoch einen "hohen Mitarbeiter der Trump-Regierung" zur Reaktion auf die "Migrantenkarawane". "Hundert Prozent korrekt" war in der Kampagne, die das Weiße Haus seit Tagen fährt, in der Tat sehr wenig. Dafür türmen sich die unüberprüfbaren Aussagen ebenso wie offensichtliche Unwahrheiten, die offenen Lügen teils nahekommen.

Schon seit Tagen spricht der Präsident von einem "Notfall an der Grenze" und meint eine Gruppe von rund 7.000 großteils honduranischen Migrantinnen und Migranten, die bis Mittwoch auf ihrem Weg Richtung USA nicht über Südmexiko hinauskamen.

Später fügte Trump weitere Behauptungen hinzu: Unter die Lateinamerikaner hätten sich auch "Unbekannte aus Nahost und Afrika" gemischt, teilte er ebenfalls unbewiesen mit. Schon zuvor hatte er gesagt, den Menschen sei "viel Geld" gegeben worden, damit sie sich auf den Weg machten. Mitarbeiter hatten da bereits angedeutet, der liberale Philanthrop und Investor George Soros stecke hinter der Wanderungsbewegung.

Auch dafür gibt es keine Indizien, wohl aber mögliche Folgen: Bei Soros' Haus wurde Dienstag Bombenalarm ausgelöst, nachdem ein verdächtiges Paket gefunden worden war.

Bastlerhit "October Surprise"

Ganz besonders unplausibel ist freilich eine weitere Bemerkung Trumps: dass die oppositionellen Demokraten "bis zum Wahltag (am 6. November, Anm.) die Karawane an der Grenze sehen wollen, weil sie glauben, dass das schlecht für uns ist", wie der Präsident bei einer Kundgebung in Minnesota sagte. Denn in Wahrheit können sich die Demokraten, denen Umfragen zumindest im Repräsentantenhaus den Sieg prognostizieren, kaum ein schlechteres Thema als Migration für die Wahlkampf-Endphase vorstellen.

Viele in der Partei sind nun wieder von Unsicherheit erfasst und fühlen sich an die letzte Woche des Präsidentschaftswahlkampfs von 2016 erinnert: Damals gab FBI-Chef James Comey am Sonntag vor der Wahl bekannt, dass die Untersuchung zu den E-Mails von Hillary Clintons neu eröffnet worden sei. Die Ermittlungen wurden zwar kurz vor der Wahl anklagelos wieder beendet, doch der Schaden war da aus Sicht der Demokraten schon angerichtet: Viele Unentschlossene stimmten letztlich für Trump, andere, die Clinton unterstützen wollten, blieben zu Hause. Auf einen ähnlichen Effekt hofft der Präsident nun wieder – nur dass die "October Surprise", mit der die Demokraten aus der Bahn geworfen werden sollen, diesmal nicht vom FBI kommt, sondern selbst zusammengebastelt ist. Zwar rechnen die Republikaner trotz allem nicht damit, viele Unentschlossene zu überzeugen – die Aufregung soll aber zumindest die eigene, zuletzt zögerliche Basis an die Urnen holen.

Zur Erinnerung an 2016 trägt auch die Reaktion der US-Medien bei: Zwei Tage widmete die "New York Times" das Seite-eins-Bild schon der "Karawane", um in den Berichten dann vor allem Trump zu zitieren (auch der STANDARD hatte jüngst ein ähnliches Bild aus Mexiko auf dem Cover, Anm.).

Bisher lassen sich in der Meinungsforschung noch keine Auswirkungen feststellen. Die Umfragenseite Fivethirtyeight sieht eine 85-prozentige Chance für einen demokratischen Wahlsieg im Repräsentantenhaus und eine 81-prozentige Siegeschance für die Republikaner im Senat: ein Bild, das sich seit dem Streit um die Bestellung Brett Kavanaughs zum Höchstrichter Anfang Oktober kaum noch verändert hat. Allerdings: Bis sich Änderungen feststellen lassen, kann es durchaus eine Woche dauern. (Manuel Escher, 25.10.2018)