Manche Filme beschreibt man besser damit, was sie nicht sind. Passe-montagne (1978), das Regiedebüt des französischen Multitalents Jean-François Stévenin, gehört in diese Kategorie. Es ist kein Film über eine Suche, obwohl er von Aufbrüchen erzählt, und keine Milieustudie, obwohl er sich für die Bewohner des Jura und deren Rituale begeistert. Und schon gar kein Thriller: Dramatische Verdichtungen interessieren ihn wenig, umso mehr das Gestische, die Sprache der Körper. So atmet der Film mit jedem Bild, als hätte er sich der Energie des Lebens überantwortet. Er wirkt wie ein Teil der schroffen Landschaft.

Ein persönliches Kino rund um Menschen, die für ein kleines Abenteuer bereit sind: Jean-François Stévenin als Mechaniker in seinem Regiedebüt "Passe-montagne".
Foto: Viennale

Passe-montagne beginnt mit einer Autopanne. Es kommt zur Zufallsbegegnung zweier auf den ersten Blick unterschiedlicher Männer: des Pariser Architekten Georges, den der als Komiker bekannt gewordene Jacques Villeret mit berührender Empfindsamkeit versieht, und des in sich ruhenden, eher praktisch veranlagten Mechanikers Serge (Stévenin) mit seiner löchrigen Weste. Es gibt keinen Druck, dafür viel Zeit zum Hinschauen. Ein Mann gewährt dem anderen Unterschlupf. Der Film erkundet seine Figuren erst langsam, ähnlich wie diese die Individualität des Gegenübers.

Jean-François Stévenins "Passe-montagne".
Vincent Meyer

Das Abenteuer, das Stévenin beschwört – John Cassavetes' Husbands, aber auch John Boormans Deliverance waren Bezugspunkte -, ist bescheiden, aber trotzdem reich an Details: Es lässt einen dabei zusehen, wie eine Männerfreundschaft aufkeimt, und gewährt zugleich Einblick in eine selbstgenügsame Kultur. Das Bonding verläuft über Ausflüge im Mercedes oder über Pilzekochen, insgesamt weniger über Worte als über Blicke – oder Besäufnisse.

Was ihn am Kino begeistere, sei alles, "was im Leben die Dinge aus dem Gleichgewicht bringt", hat Stévenin einmal gesagt. Das müssen nicht die großen Einschnitte sein, die alles infrage stellen. Stévenins ersten beiden Filme – 1986 folgte Double Messieurs – wirken wie eine französische Variante des New-Hollywood-Kinos der 1970er-Jahre. Sie arbeiten sich lieber am Heroismus ab, anstatt diesen zu bedienen, und sie glauben nicht mehr so recht daran, dass der Mensch und seine Erscheinung zusammengehören.

Offen für Unerwartetes

Im Tatendrang der Figuren liegt schon der Keim der Burleske, die mit der Zeit immer stärker Wurzeln schlägt. Stévenins Helden sind Abenteurer, weil sie sich gegenüber dem Unerwarteten öffnen. Er sei das Action-Double von Belmondo gewesen, sagt der Schauspieler Yves Afonso in Double Messieurs, der seinen Freund François (wieder Stévenin) in eine aberwitzige Suchaktion hineintheatert. Seine Stärke ist aber nur antrainiert – als er sich bei einem Einbruch einmal schneidet, wimmert er wie ein kleines Kind.

Stévenin, 1944 in Lons-le-Saunier im Jura geboren, wohin er in seinen Filmen immer wieder zurückkehrt, hat als Schauspieler eine beeindruckende Laufbahn hinter sich. Bei der Viennale sind auch vier dieser Arbeiten zu sehen, darunter La nuit americaine von François Truffaut, mit dem er so wie mit Jacques Rivette häufiger gedreht hat.

Es sind Filme, mit denen ihn eine Nähe, ein Ethos verbindet. Neige (Juliet Berto, Jean-Henri Roger) wurde vom Cutter Yann Dedet geschnitten, dem auch Stévenins Filme ihren wunderlichen Rhythmus verdanken – sprunghaft, bewusst aus der falschen Kontinuität des Erzählkinos gerissen. In seinen drei Regiewerken – dass es nicht mehr sind, hat auch Jean-Luc Godard einmal bedauert -, drehte der "DirActor" wiederholt mit denselben Freunden, Verbündeten und der Familie.

Motivisch sind die Filme durch die erratischen Reisen verknüpft, ihrer bevorzugten Erzählbewegung, die laufend Begegnungen produziert. In Double Messieurs trifft der zurückhaltende François auf eine Frau (Carole Bouquet), die eigentlich eine Nummer zu mondän für ihn ist. Doch erstmals im Leben riskiert er etwas, bis er sich in einem fulminanten Finale im Schneenebel an sie klammert.

Mischka (2002) treibt dieses Prinzip des Verlorengehens und Neu(er)findens ins Extrem. Der von Jean-Paul Roussillon wie ein Riesenbaby gespielte Großvater wird in dieser Urlaubssatire auf einer Raststätte vergessen und findet rasch neue Begleiter. Aber fast interessanter ist das Frankreich, das Stévenin porträtiert: ein Land, das von deutschen Touristen überschwemmt wird und in dem eine autarke Kultur auf die Freizeitkultur der Massen trifft. (Dominik Kamalzadeh, 25.10.2018)