Der S60 in US-Ausführung, also ohne Taferl vorn.

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Grafik: der Standard

Darunter der Herrscher aller Volvos seit 2010: Geely-Chef Li Shufu.

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Ein Hinweis auf den Polestar 1, der in China gebaut wird.

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Steigerungspotenzial ist etwas Feines. Deshalb (und nicht etwa weil die polnischen Kollegen sich schon alle Autos gegriffen hatten) besteigen wir vormittags erst einmal den T6 und nachmittags den T8 Polestar Engineered. Den mit den zwei Herzen, Plug-in-Hybrid, und weil Polestar draufsteht, handelt es sich auch gleich um die Topversion. Wenn schon, denn schon, dachte sich Volvo. Schließlich hatte man etwas herzuzeigen, die zweite, kleinere Limousine nämlich, die das Dreibox-Portfolio beim schwedischen Premiumhersteller arrondiert.

Wobei, schwedisch, das ist so eine Sache. Die große Limousine, der S90, wird der dortigen großen Nachfrage wegen ausschließlich in China produziert, darunter auch die Langversion. Der kleine Bruder, der sich mit ihm die SPA-Plattform (skalierbare Produktarchitektur) teilt, kommt hingegen aus den USA, wohin folglich auch die Präsentation des eleganten Neuzugangs verlegt ward.

Allerdings nicht nach Charleston, South Carolina, wohin es die Konzernlenker, ähnlich wie seinerzeit schon BMW (Spartanburg), gezogen hat, sondern nach Kalifornien. Wegen "California dreamin'" vielleicht. Wegen sonniger Aussichten wahrscheinlich. Wegen des Volvo-Absatzes bestimmt. Wegen der Elektroaffinität ganz sicher, und da passen ja die beiden Plug-ins vorzüglich.

Kurvensuche, Kurvenfindung

Damit man nicht mit einem "Zum Fahrwerk kann ich leider nichts sagen" -Schulterzucken zurückkehrt, hat das Organisationsteam neben stupiden Lineal-Highways im Hinterland von Santa Monica auch ein paar nette Kurvenstraßln gesucht und gefunden. Ja doch, das kann Volvo immer noch und immer noch gut, das Auto ist eindeutig auch für Europa eine Empfehlung, auch wenn Limousinen in der Alten Welt so was von nicht mehr gefragt sind.

Das ist antriebsseitig gleich miteinkalkuliert, indem es beim S60 nämlich keinen Diesel mehr gibt. Die Absicht, in absehbarer Zeit ganz aus dem Selbstzünder auszusteigen, ist längst offiziell kommuniziert. Stattdessen sollen 2025 weltweit schon eine Million elektrifizierte Volvos herumstromern, der erste Batterieelektriker startet 2019, vermutlich auf XC40-Basis.

Angesagt ist beim S60 erst einmal Otto, und das in vier Ausführungen: T5, T6, T8 Twin Engine, T8 Polestar Engineered. Basis ist stets der 2,0-Liter-Vierzylinder, den Unterschied machen die Nebenaggregate. Kosteneffizienter Ansatz, aber auch Mutter des Mankos. Die Konkurrenz, die deutsche speziell, hat in dem Kapitel einfach mehr zu bieten. Sechszylinder? Bitte schön, kein Problem, greifen Sie zu. Ähnlich auch das Emotionskapitel Motorsound. Das haut einen beim S60 nicht vom Hocker, egal in welcher Version, T6 hin, Polestar Engineered her.

Im Kapitel Performance indes gibt es nichts zu jammern, schon der T6 – wie alle S60 außer dem T5 mit 248 PS, transferiert er seine Kraft via Allrad auf die Straße – bringt sich respektheischend in Stellung. Eh klar bei 306 PS, werden Sie sagen, und Sie haben natürlich recht. Das dazu gereichte Sportfahrwerk passt auch, es wirkt in manchen Momenten aber vielleicht ein wenig knöchern.

Des Nordens Stern

Das kann der Plug-in-Hybride mit dem Polarsternzusatz dank adaptiver Dämpfung deutlich geschmeidiger, in der Aufundab-, der Vorundzurück-, der Linksundrechtsrichtung, und das sollte er auch, muss er doch viel mehr Masse bändigen. Die Dämpfer vorn, verkündet Volvo stolz, ließen sogar 22 unterschiedliche Einstellungen zu. Die jeweils optimale Auswahl überlassen wir gerne den Nullen-und-Einsen-Jongleuren in den Rechnern, wir registrieren lieber, was menschliches Sensorium wahrzunehmen vermag.

Das wäre einerseits virtuoses Vorankommen, wir reden von 405 PS Systemleistung, 15 PS mehr als im normalen T8. Die stemmt nicht der E-Motor – in beiden Fällen leistet die 65 kW (88 PS) -, sondern der turbo- und kompressorbewehrte Vierzylinder (318 PS). Die 10,4-kWh-Lithium-Ionen-Batterie bringt uns bis zu 43 km weit elektrisch voran, und wenn das Bremsgefühl reichlich synthetisch wirkt, so teilt der Volvo sich das mit fast allen Plug-in-Hybriden: Der E-Motor rekuperiert als Generator Verzögerungsenergie, wo es schneller langsamer werden soll, packen die Bremsen (mit) an.

Rundes Paket

In Summe liefert Volvo mit dem S60 ein rundes Paket mit stilsicherem Design, Thomas Ingenlath erntet dafür weltweit Lorbeeren. Und apropos weltweit: Der S60 zeigt einmal mehr, dass Volvo bald überall ist. Man kann nur hoffen, dass die Marke ihre schwedische Prägung unter Führung des ehrgeizigen Geely-Chefs Li Shufu, der neben dem polaren bereits nach anderen Sternen (Mercedes) greift, erhalten kann. Polarstern? Die von Volvos abgeleiteten Polestars, sie sollen prinzipiell elektrifiziert oder rein elektrisch angetrieben werden, tragen als Herkunftszeichen Made in China.

Ansonsten ist Volvo erfolgreich unterwegs. 2017 wurden 571.577 Autos verkauft, das ist knapp an Jaguar Land Rover (620.000) und Lexus (rund 750.000) und überhaupt hart am Winde dran. Wie es sich für Wikinger gehört. (Andreas Stockinger, 30.10.2018)