"Nein, nein, das ist nicht für mich", sagt der Mann, Anfang dreißig, Freizeitkleidung, kurzer Bart, nachdem er eine kleine braune Schachtel aus dem Automaten geholt hat. "Dr. Greenthumb" steht drauf: grüner Daumen. "Das ist für einen Freund", hängt er noch dran – fast, als hätte die Polizei ihn dabei erwischt, wie er ein Gramm Cannabis kauft. Das hat er auch. Allerdings enthält sein Gramm aus dem Automaten vor allem den Wirkstoff Cannabidiol (CBD) und nur zu maximal 0,3 Prozent das berauschende Tetrahydrocannabinol (THC).

Orange Kush heißt der Brownie im Sortiment der Konditorei Aida, den eine Cannabisblüte aus Marzipan schmückt.
Foto: Matthias Cremer

Der Mann muss sich keine Sorgen machen. Was er tut, ist legal – seit einer Novelle des Suchtmittelparagrafen im Vorjahr. Davor waren, wie in Deutschland, CBD-Blüten nur zur Weiterverarbeitung erlaubt.

Mittlerweile sind die Produkte extrem beliebt. Auf den CBD-Hype aufgesprungen ist etwa auch die Traditionskonditorei Aida. Seit Anfang September werden CBD-Brownies gebacken. Ein grünes Hanfblatt aus Marzipan ist oben drauf, laut Verkäuferin seien die Süßigkeiten "der Renner" und verkauften sich gut.

Das ist auch drinnen, aber hauptsächlich der nicht berauschende Wirkstoff der Pflanze.
Foto: Matthias Cremer

Konsumenten von 18 bis 95

Simon Tyrra hat die Mehlspeise probiert, die sei aber "reines Marketing." Der Student verwendet seit einem halben Jahr CBD-Öl. Wegen einer frühkindlichen Hirnschädigung hat der Mittzwanziger eine zu hohe Muskelspannung, er humpelt und hat Schmerzen in den Beinen. Früher habe er gelegentlich gekifft und davon eine Psychose bekommen.

Darum habe er Angst gehabt, als er sich das erste Mal das bittere Öl unter die Zunge tropfte. "Aber nach einer halben Stunde kam plötzlich die Entspannung." Ein Wundermittel sei CBD nicht, "aber eine gute Ergänzung". In manchen Monaten gebe er 30 Euro für CBD aus. Ein Gramm aus dem Automaten kostet zehn Euro, zehn Milliliter Öl kosten, je nach Anbieter, mindestens 25 Euro.

Kaufen kann man CBD-Produkte fast überall. Denn sie sind weder durch das Lebensmittel-, noch durch das Arzneimittelgesetz erfasst. Fündig wird man daher in manchen Apotheken oder in Cannabisshops. In einer Wiener Pizzeria kann man sich das Öl sogar über die Pizza träufeln lassen. Vor allem junge Kunden bestellten die "Blattgold", erzählt ein Mitarbeiter. Der Preis: 16,90 Euro.

CBD-Blüten können in Wien auch aus dem Automaten gekauft werden.
Foto: Matthias Cremer

Manche Anbieter konzentrieren sich voll und ganz auf den nicht berauschenden Wirkstoff. Sofie Sagmeister zählt dazu. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von Magu: Hier werden CBD-Blüten, Öle (die aktuell am beliebtesten seien) und Tee verkauft.

Die Kundschaft sei bunt gemischt, sagt Sagmeister: "Die jüngste Kundin war 18, der älteste 95 Jahre alt." Und: "Dem Kifferklischee entsprechen nur sehr wenige." Warum dann Cannabis? "Zurück zur Natur. Zur Entspannung, als Prophylaxe, gegen Schlafstörungen und Schmerzen", fasst Sagmeister zusammen.

So mancher Konsument interessiert sich aber auch schlicht dafür, ob der Stoff nicht doch mit einem Joint vergleichbar ist. "Also leicht high bin ich schon", sagt ein Mann Mitte dreißig, "aber kiffen fühlt sich anders an." Der Lehrer hat schon einiges von CBD gehört. Heute probiert er es zum ersten Mal aus – und zwar in der Goldie, nach eigenen Angaben Wiens erster CBD-Bar.

Keine Kontrollen

Wer hofft, durch den Wirkstoff medizinische Probleme zu lösen, findet bei Patrick Thurner Rat. Der Arzt mit Kassenpraxis in Hartberg bietet eigene Sprechstunden zu dem Thema und berät. Bei den Anwendungsmöglichkeiten gebe es fast keine Grenzen. Er habe gute Erfahrungen zur Behandlung von Akne gemacht, aber auch bei rheumatischen Beschwerden und bei Epilepsie oder Übelkeit durch Chemotherapie. "Natürlich sage ich nicht zu jedem Patienten: Nimm CBD-Tropfen, und gut ist es", sagt der Allgemeinmediziner.

Blüten empfiehlt er in der Regel nicht. Niemand solle zum Rauchen verleitet werden, und die Dosierung sei schwierig. Problematisch findet der Arzt außerdem den "Wildwuchs": Weil der gesetzliche Rahmen fehlt, gibt es auch keine Kontrollen der Produkte am Markt. Thurner informiert sich über Tests, die beispielsweise die Arge Canna durchführt. Das Ergebnis: Meistens ist weniger CBD drinnen als angegeben.

"Dr. Greenthumb" steht auf der Schachtel: grüner Daumen.
Foto: Matthias Cremer

Auch Alex Kristen testet – und zwar Blüten. Hier liege der THC-Wert häufig über den erlaubten 0,3 Prozent, sagt er. Kristen ist einer der größten Hanfanbauer des Landes, derzeit produziert er in Italien und in Brunn am Gebirge rund 25.000 Hanfpflanzen pro Woche. Den CBD-Markt bedient er nicht. Fehlender Konsumentenschutz und Heilsversprechen der Anbieter bei "horrenden Preisen" missfallen ihm. "So lange es keine klaren Regeln gibt, spiele ich nicht mit."

Regulierung verlangt

Empfehlungen dazu gibt es – etwa CBD zur oralen Einnahme als sogenanntes Novel Food einzustufen. Produkte müssten dann eine Zulassung durchlaufen. Blüten könnten hingegen als Rauchwaren deklariert werden und müssten in Trafiken verkauft werden. Und Apotheker wollen Produkte zur arzneilichen Anwendung ausschließlich in ihren Regalen stehen haben. Alle Gruppen betonen dabei den Schutz der Konsumenten. Ihre wirtschaftlichen Interessen werden aber auch bedient.

Im Goldie raucht der Lehrer weiter. Ein süßer Geruch, wie man ihn von Abenden am Donaukanal kennt, hängt unter der hohen Decke. Ein Freund, der mit am Tisch sitzt, sagt, er habe schon vor 15 Jahren aufgehört, Gras zu rauchen: "Das hat meinen Kopf hingemacht. Das CBD macht nur meinen Körper letschert." (Lara Hagen, Gabriele Scherndl, 27.10.2018)