Die Dörfler mögen keine Zugewanderten, aber die Einheimischen – hier Knecht Matthias (Alkis Vlassakakis) – mögen sie eigentlich auch nicht.

Foto: Alexandra Thompson

Wien – Es empfiehlt sich, sofern man noch die Wahl hat, mit der Familie Nesterval nicht verwandt zu werden. Immer dort, wo ein Mitglied der mysteriösen Dynastie auftaucht, macht sich Grusel breit und die dunkle Vergangenheit zieht wie eine Wolke über alles drüber. Fragwürdige Geschehnisse nehmen alsbald ihren Lauf. Wie viele es von den Nestervals gibt und welche finsteren Geheimnisse sie noch zu lüften gedenken – man weiß es nicht.

Jüngster Fall: Hochzeitsvorbereitungen in St. Peter. Ein Zweig der Nestervals betreibt im gleichnamigen Bergdorf einen Gasthof. Es wird geheiratet, wie schön. Allerdings ist der Bräutigam zum großen Missfallen der Dorfbewohner kein Hiesiger. Ein grausames Spiel beginnt, in das die angereisten Hochzeitsgäste (das Publikum) eiskalt involviert werden.

brut Wien

Aus Brauchtumsritualen, aus Motiven österreichischer Heimatfilme sowie Figuren aus den Erzählungen Krambambuli von Marie von Ebner-Eschenbach (1830- 1916) und Anna-Liisa der finnischen Autorin und Frauenrechtlerin Minna Canth (1844-1897), hat das Wiener Performancekollektiv mit dem berüchtigten Namen Nesterval eine bewährt abgründige Geschichte zusammengesetzt, deren Kausalitäten das Publikum wie üblich selbst erforschen muss. Mitmachtheater, hier funktioniert es. Diesmal in Hernals, wo besagtes "Dorf" auf dem Areal des Stifts St. Peter samt Buschenschank angesiedelt wurde – eine Koproduktion mit dem Brut.

Profundes Muhen

Ein Gartenhäuschen wird zur Almhütte (mit Schnapsausschank), vor dem Christuskreuz im Gutsgarten kommt unterm schon dusteren Himmel Friedhofsstimmung auf, im Hof wird Holz gehackt und in der Buschenschank gesoffen und getratscht. Dann und wann erleichtern sich die verteilt aufgestellten Lautsprecherboxen um den profunden Laut einer muhenden Kuh.

Ausgerufen wird das Jahr 1963, doch Kleidung und Gebaren der Dorfbevölkerung lassen eher auf das 19. Jahrhundert schließen. Ähnlich den Sittenbildern im Alpenwestern Das finstere Tal (2014) von Andreas Prochaska.

Singen und beten

Der Grundkonflikt von Das Dorf (Regie: Herr Finnland), die Ablehnung von Zugezogenen, macht die tief verwurzelte xenophobische Haltung der Bevölkerung zum Thema. Es braucht dazu keine Gastarbeiter oder Asylwerber, schon das nächste Dorf ist fremd und also Feind. Daraus strickt die Produktion aber keinen tieferen Diskursbeitrag, sondern bemüht sich voller Verve um das provokante Auflebenlassen von Bräuchen, Gepflogenheiten und Moralvorstellungen auf dem Land.

Unter engagierter Beteiligung des sich im "Dorf" frei bewegenden Publikums – die Zeit läuft aus Recherchegründen rückwärts – wird gebetet und gesungen (In die Berg' bin i gern), werden frauenverachtende Hochzeitsspiele veranstaltet (Zeche) und Sprüche geklopft (Stammtisch!). Dass das Dorf eine prononciert sture Gemeinschaft ist, wirkt ein wenig kindisch, ist aber notwendig, damit die Provokation funktioniert. Devise: Spielen als Erprobung des echten Lebens. (Margarete Affenzeller, 27.10.2018)