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Blick in den Terminal: Der neue Istanbuler Flughafen hat nur eine, dafür aber eine gigantische Abflughalle. "No crowding" lautet die Devise.

AP / Emrah Gurel

Draußen ruckeln Arbeiterkolonnen noch junge Baumstämme gerade, die aufgereiht in Löchern stecken. Dazwischen liegt, schnell ausgerollt, der neue Rasen. Von der großen Kuppel der Moschee an der Zufahrt zu Istanbuls neuem Flughafen, weit mehr politisches Statement als religiöse Besinnungsstätte, denn wer soll hier zum Beten herkommen, gibt es im Moment nur die nackten gebogenen Stahlträger zu sehen. Im Terminal drinnen riecht es nach frischer Farbe, nach Estrich, dem säuerlichen Dunst von Dichtmasse.

Kadri Samsunlu, der Chef des Flughafenkonsortiums, muss Grigori Potjomkin spielen, den russischen Feldmarschall zu Zeiten von Katharina der Großen. Er weiß es, alle wissen es. Am Montag fliegen der Staatschef und seine Entourage ein. Dann muss hier alles wie fertig aussehen. Tayyip Erdoğan wird am Nationalfeiertag der Türkischen Republik den neuen Istanbuler Flughafen eröffnen. Seinen Flughafen. Den größten der Welt.

Die Beton-Tulpe

Samsunlu, ein hager gewordener Manager Anfang 50 mit runder Hornbrille, wird die Baustelle schön einpacken lassen. Es wird großartig ausschauen im Fernsehen: Die gigantische Terminalhalle mit ihren fünf Armen für die andockenden Flugzeuge. Der futuristische, bereits international preisgekrönte Tower in Form einer Tulpe. Die Start- und Landebahnen vor der blassen Weite des Schwarzen Meers.

Aber so wie die Legende von den aufgeputzten Potemkinschen Dörfern, die der Feldmarschall seiner Zarin zeigte, in Wahrheit von den Zeitgenossen übertrieben wurde, so macht auch der türkische Manager Samsunlu nicht wirklich den Versuch, die Besucher seiner Großbaustelle im Nordwesten Istanbuls zu blenden. "Es ist nur ein Start", sagt er über die Eröffnung am Montag, dem Tag der Republik. "Wir haben bei diesem Projekt noch einen langen Weg vor uns."

Soft opening

Deshalb geht der neue Flughafen auf der europäischen Seite der Stadt ab Dienstag auch nur eingeschränkt – und vorübergehend mit dem Code ISL – in Betrieb. Turkish Airlines wird drei inländische Destinationen anfliegen – Ankara, Izmir und Adana – und zwei im Ausland – Baku in Aserbaidschan und Ercan im türkischen Teil Zyperns. Die richtige Eröffnung hat das Management kurzfristig um zwei Monate, bis zum Ende des Jahres, verschoben. Am 29. Dezember beginnt nun die Umsiedlung vom alten Flughafen Atatürk zum neuen, nordwestlich der Stadt. 45 Stunden soll sie dauern. Noch kurz vor Jahreswechsel am 31. Dezember soll Istanbuls neuer Flughafen voll in Betrieb sein.

Ein neues Wahrzeichen für Istanbul: Der Tower des Flughafens in Form einer Tulpe. Das italienische Designstudio Pininfarina und Architekten des US-Unternehmens Aecom haben den Turm konzipiert.

Drei Jahre baut das Konsortium türkischer Großunternehmen bereits an Erdoğans Flughafen, einem Projekt mit Kosten von offiziell 10,5 Milliarden Euro. Noch zehn Jahre soll es dauern, bis der vierte und letzte Bauabschnitt abgeschlossen ist und eine in der Welt nie dagewesene Zahl von 200 Millionen Passagieren im Jahr durch Istanbul geschleust wird. Von West nach Ost, von Amerika und Europa nach Asien, vom Norden in den Süden des Globus. Zweimal mehr Menschen, als jetzt durch Atlanta oder Peking fliegen. Das zumindest ist die Rechnung der Türken.

Jetzt ist gerade einmal Phase 1 fertig, genauer gesagt, Phase 1A. Das Wichtigste steht: Terminal, Turm, zwei Start- und Landebahnen. Die dritte Bahn folgt nächstes Jahr; das ist dann Bauabschnitt 1B. Sechs Startbahnen sollen es am Ende, im Jahr 2028, sein. Doch schon mit der Kapazität von nun 90 Millionen Passagieren wird Istanbul London-Heathrow schlagen, bisher Europas größten Flughafen. Die Frage ist: Braucht die Welt eine Mega-Transportdrehscheibe in der Türkei?

Megaprojekt in Pastelltönen: Das Werbevideo von IGA, dem Flughafenkonsortium der türkischen Großunternehmen Kalyon, Cengiz, Limak, Kolin und MNG. Sie haben mit dem Bauauftrag auch eine Betreiberlizenz für 25 Jahre.
İGA Havalimanı İşletmesi A.Ş.

Technische Weiterentwicklungen – und relativ niedrige Ölpreise – machen Flüge auf den besonders langen Strecken ohne Umsteigen möglich. Erst diesen Monat nahm Singapore Airlines mit einem neuen Airbus 350-900 den Direktflug nach New York wieder auf (17:25 Stunden). Quantas plant Nonstopflüge zwischen Sydney und London mit einer Boeing Dreamliner ab 2022. Passagiere in Europa können Destinationen in Fernost, am Golf oder in Afrika ohnehin problemlos aus Frankfurt, Paris, Amsterdam oder London erreichen. Doch Kadri Samsunlu sieht das anders.

60 Hauptstädte liegen drei Stunden oder weniger entfernt von Istanbul, sagt der Generalmanager von IGA, dem Istanbul Grand Airport. "Wir sammeln diese Passagiere auf und transportieren sie weiter", erklärt Samsunlu. Das klappt bei Turkish Airlines jetzt schon ziemlich gut. Das Fluggastaufkommen am alten Istanbuler Flughafen Atatürk stieg seit 2002 unaufhörlich – jährlich im Durchschnitt um 12,3 Prozent.

Frachtgeschäft

Noch stärker ist das Wachstum im Frachtverkehr in den vergangenen 15 Jahren mit 21,2 Prozent. 30 Frachtflugzeuge können bei Vollbetrieb gleichzeitig be- und entladen werden, versichern die Planer. Das Cargo-Geschäft zwischen Asien und Europa soll auch ein Stützpfeiler des neuen Flughafens sein, die Frachtkapazität auf 5,5 Millionen Tonnen im Jahr steigen. Es wäre das Fünffache des Volumens auf dem alten Atatürk-Flughafen.

Der türkische Inlandsmarkt mit seinen Passagieren wird die dritte Einnahmequelle des neuen Flughafens sein. "Mein Land ist groß, wir sind 80 Millionen", sagt Samsunlu. Schon deshalb lässt Istanbul die Konkurrenz in Dubai und Abu Dhabi hinter sich, so glauben türkische Manager und Regierungspolitiker. Der größte Trumpf ist aber wohl die schiere Weite. Istanbuls neuer Flughafen erstreckt sich mit Terminal, Servis-Gebäuden und Landebahnen über eine Fläche von 76 Millionen Quadratmetern. Auf keinem Flughafen der Welt ist auch nur annähernd so viel Platz: Atlanta hat 19, Peking 23 Millionen Quadratmeter, Frankfurt und Amsterdam liegen dazwischen, Heathrow kommt mit nur zwölf Millionen Quadratmetern aus.

Der Riesen-Terminal soll den Passagieren ungewohnt viel Platz bieten – "no crowding" heißt die Devise. An den fünf Armen des Terminals können 114 Maschinen andocken, fast dreimal so viel wie beim überlasteten Atatürk-Flughafen. 257 Parkpositionen gibt es außerhalb des Terminals für die Maschinen.

Erdlöcher stopfen

Der bisherige Bau war schwierig: Der neue Flughafen liegt auf dem Gebiet früherer Kohlenminen. Der Erdgrund musste immer wieder aufgefüllt, Grundwasserseen trockengelegt werden. Im Sommer brach ein ganzes Stück asphaltierter Boden vor dem Terminal ein. Einwände von Ökologen ließ der Staatschef nicht gelten. Ein Teil der Grünflächen im Nordwesten Istanbuls, die der Metropole noch etwas Luft verschaffen, ist bereits durch den Bau der dritten Bosporus-Brücke und einer Autobahnumgehung zerstört worden.

Beim Flughafen allein wird es auch nicht bleiben. Eine komplette Stadt wird noch daneben errichtet, mit Hotels, Kongresszentrum und Shopping Malls. Auch dafür hat sich das Konsortium regierungsnaher Konzerne der IGA den Zuschlag gesichert. Die Anbindung ist allerdings noch ein Problem: Der Flughafen ist nur mit Auto und Bussen erreichbar. Bei freien Strassen dauert das Von Besiktas oder vom Finanzviertel Maslak eine gute halbe Stunde, mit Stau wenigstens eine Stunde. Eine erste U-Bahn-Linie zum Flughafen soll Anfang 2020 in Betrieb gehen.

Subunternehmen und Substandard: Im September protestierten Arbeiter gegen mangelhafte Sicherheitsbedingungen auf der Baustelle, ausbleibende Löhne und Ungeziefer in den Betten. 600 Arbeiter wurden vorübergehend festgenommen, ein Dutzend kam in Haft.

35.000 Arbeiter sind auf der Baustelle beschäftigt. Als im September nach einem Unfall mit einem Bus, der Arbeiter transportierte, Proteste ausbrachen, griff der Staat rigoros durch. Bis zu 600 Arbeiter wurden während eines Wochenendes festgenommen. Zwei Dutzend sind nun inhaftiert. Das Management habe am Tag der Proteste die Kontrolle über den Eingang zur Baustelle verloren, so rechtfertigt Kadri Samsunlu das Vorgehen der Polizei. Er sei offen für friedliche Proteste, versichert er. Alle Probleme, die von den Arbeitern aufgeworfen wurden, – es ging um die Sicherheit, nicht gezahlte Löhne, verdreckte Unterkünfte – seien gelöst. Die Frage, ob zutrifft, dass festgenommene Arbeiter nicht mehr beschäftigt werden, beantwortet Samsunlu nicht. Die Zahl der bei Unfällen bisher umgekommenen Arbeiter gibt er mit 30 an.

Der neue Namen

Um den Namen des neuen Flughafens hat sich in der Türkei längst eine Debatte entzündet. Es gibt jene, die für die Übernahme des alten Namens Atatürk sind und jene im konservativ-islamischen Regierungslager, die den Namen des säkularen Republikgründers ausradieren möchten. Einer Mehrheit scheint "Recep Tayyip Erdoğan International Airport" die logische Lösung. Andererseits scheint wenig wahrscheinlich, dass der autoritär regierende Staatschef allem Machtbewusstsein zum Trotz den Flughafen bei der Eröffnungsfeier am Nachmittag ungeniert nach sich selbst benennt. (Markus Bernath, 28.10.2018)