Der zurückhaltende, präzise Blick auf den zurückhaltenden, prüfenden Blick: Lotte Lasersteins Porträt "Russisches Mädchen mit Puderdose", 1928.

Foto: Städel

Lotte Laserstein beim Malen, mit dem sie nie aufhörte.

Foto: Berlinische Galerie

Es sind Augen, die im Gedächtnis bleiben. Lange noch, nachdem man die mit rund 50 Exponaten angenehm überschaubar bestückte Ausstellung im Städel-Museum in Frankfurt am Main verlassen hat. Die Augen verfolgen einen. Weil sie so intensiv und so tief sind.

Selten war in letzter Zeit ein Ausstellungstitel besser gewählt: Von Angesicht zu Angesicht. Denn das Porträt, realistisch, eindringlich und psychologisch feinsinnig, war das Lieblings- und Hauptmotiv Lotte Lasersteins (1898-1993). Im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen der Zwanzigerjahre, zu George Grosz und Otto Dix, Christian Schad oder Karl Hubbuch, war Laserstein dem Menschen zugeneigt. Kühle, Schärfe, Zynismus, Imponiergehabe, Voyeurismus waren ihr fremd, ebenso das Prostituiertenmilieu oder die Tristesse des Urbanen, die Jeanne Mammen wiedergab.

Spiel mit Vorläufern

Stattdessen ist Lasersteins konservativ-realistischer Blick still, zurückhaltend, manchmal liebevoll, wie es gleich bei einem der ersten Bilder in der Ausstellung, dem kleinformatigen Porträt ihrer betagten Großmutter, sichtbar wird. Zudem spielt Laserstein mit der Kunstgeschichte. Im Gemälde In meinem Atelier von 1928 bezieht sie sich bewusst auf den Renaissance-Maler Giorgione. Dass die junge Nackte, ihr immer wieder gemaltes, sportlich-androgynes Lieblingsmodell Traute Rose, Typus der emanzipierten "Neuen Frau", schläft – das glaubt man sofort. Aber die Drehung des Körpers, die Wendung des Beckens, die Darstellung der Scham, ist das nicht unverstellter, geplant indezenter?

"Russian Girl" (1928) von Lotte Laserstein
Foto: Städel-Museum/Horst Ziegenfusz

Und dann sind da noch die fünf Müden auf der Dachterrasse in Abend über Potsdam. 1930 wie so oft bei Laserstein auf Holz gemalt, was damals ungewöhnlich war, zeigt das große Querformat drei jüngere Frauen und zwei Männer, alle aus der Zone zwischen Bohème und Bürgertum. Wie nach dem Fest wirkt das: Eine große Müdigkeit liegt über den fünfen, Melancholie, Erschöpfung, Leere. Ein Kirschgarten mitten in Deutschland. Die einzige Bewegung in dem symmetrisch aufgebauten Bild, für das Laserstein nicht wenige Freunde Modell sitzen ließ – einige musste sie übermalen, weil ihnen die Kondition fürs Modellsitzen abging -, ist die von Daumen und Zeigefinger der rechten Hand des einen Mannes. Als hielte er ein Glas, das nicht mehr da ist. Also wieder: eingefroren, abgebrochen, isoliert.

Jüdische Großeltern

Lotte Laserstein, 1898 in Ostpreußen geboren und via Danzig nach Berlin gekommen, wo sie 1918 maturierte und sich 1921 an der Hochschule für die bildenden Künste inskribierte – erst seit 1919 waren Frauen zum Studium zugelassen -, wurde 1925 Meisterschülerin und war seit 1927 freie Künstlerin. Schon ein Jahr später kaufte die Stadt Berlin ihr erstes größeres Bild an. Die junge Malerin wurde immer bekannter, 1931 waren Arbeiten in einer namhaften Berliner Galerie zu sehen. Ein Jahr später hatte sie ihre zweite große Einzelschau, in Stuttgart.

Ab 1933 wurde es für die protestantisch Getaufte, von deren vier Großeltern drei jüdisch waren, beschwerlich. 1937 nutzte sie die Einladung einer schwedischen Galerie und blieb, Bilder im Gepäck, in Stockholm. Ihre jüngere Schwester harrte in Berlin aus, überlebte als "U-Boot" in Verstecken. Lasersteins Mutter wurde 1943 in einem KZ ermordet.

Vergessen, neu gesehen

Nach 1945 war Lotte Laserstein in Deutschland vollkommen vergessen. Bis zu ihrem Tod 1993 hörte sie nicht auf zu malen. Tausende Arbeiten entstanden. Von ihren gefälligen Porträts der besseren Gesellschaft konnte sie auskömmlich leben. Sie zog nach Kalmar in Südschweden, lebte auch auf der Insel Öland, wo sie begraben wurde.

In Frankfurt sieht man eine kleine Auswahl. Subtile Porträts. Das Übrige, Landschaften, die Drucke und Pastelle, schrieb 2013 der schwedische Essayist Fredrik Sjöberg in seinem Band Vom Aufhören, der soeben auch auf Deutsch erschienen ist, sei süßlich, ja matt. Was Laserstein selbst klar war. Und doch hörte sie nicht auf zu malen. Porträtierte sich älter werdend. Variierte wiederholt ihr Lieblingsmotiv des Modells und der den Zuschauer musternden Malerin.

Zögerliche Wiederentedeckung

Zehn Jahre nach ihrem Tod setzte, zögerlich, eine Wiederentdeckung ein, mit einer kleinen Ausstellung in Berlin, mit dem Ankauf von Abend über Potsdam durch die Berliner Nationalgalerie (damals eingefädelt vom heutigen Städel-Direktor). 2017 war sie in Frankfurt am Main in der Schau über die Kunst der Zwanzigerjahre vertreten. Nun üben in dieser bemerkenswerten, intensiven Schau die eng gerahmten Köpfe und Figuren starke suggestive Wirkung aus. Und ihre Augen, diese Augen! (Alexander Kluy, 29.10.2018)