Die Vignette mutierte in den letzten Wochen zur heiligen Kuh Österreichs.

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So eine Geschichte kann man fast nicht erfinden. Da stimmen in Straßburg die EU-Abgeordneten über ein wichtiges Vorhaben ab, in Österreich (und manchem anderen Land) ist die Politik aus dem Häuschen und dann war alles: ein Sturm im Wasserglas. Die Rede ist vom Beschluss der fahrleistungsabhängigen Maut in der europäischen Volksvertretung, in deren Debatte die österreichische Pkw-Vignette auf Autobahnen zu einer Art heiligen Kuh hochstilisiert wurde.

Dem Pickerl wäre nämlich nach früheren Vorschlägen vom sogenannten Road Pricing der Garaus gemacht worden. Die Vignette wird ja pauschal bezahlt, während die neue EU-weite Pkw-Maut auf die gefahrenen Kilometer abgestellt hätte. Als die Abstimmung am Donnerstag durch war, kamen prompt empörte Reaktionen. "Zusatzkosten in Milliardenhöhe ohne jeden europäischen Mehrwert", echauffierte sich die ÖVP-Verkehrssprecherin im EU-Parlament, Claudia Schmidt. Noch deutlichere Worte fand FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker, der wegen der vermeintlichen "Autofahrerabzocke" und eines "Anschlags auf unsere Autofahrer und Pendler" tobte.

Abänderungsanträge sorgten für Verwirrung

Die Aufregung legte sich dann langsam, als klar wurde, dass das Ende der Vignette nicht in Sichtweite ist. Doch wie kann es sein, dass bei derart wichtigen Abstimmungen eine derartige Verwirrung herrscht? Markus Ferber, Verkehrsexperte und seit 1994 für die CSU im EU-Parlament tätig, erklärt das so: "Es war eine wirre Abstimmung." Abänderungsanträge hätten nur dank einer Stimme die Mehrheit geschafft oder wegen eines Votums selbige verfehlt, erzählt er im Gespräch mit dem STANDARD. Selbst am Wochenende war noch nicht ganz klar, was konkret am Tisch liegt. Hier gebe es "Inkonsistenzen", weil sich verschiedene Artikel widersprechen, so Ferber.

Um derartige Hoppalas verstehen zu können, muss man etwas tiefer in die Vorlagen der EU-Kommission, die Abstimmung im Verkehrsausschuss und die seither eingereichten Abänderungsanträge einsteigen. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass es ab 2028 nur noch fahrleistungsabhängige Maut-Systeme geben dürfe und bis dahin auch keine neuen Vergebührungen à la Vignette eingeführt werden dürfen. Die österreichische Abgeordnete Schmidt bekämpfte den Vorstoß mit einem Abänderungsantrag, der eine generelle Ausnahme von Pkw vom Road Pricing zum Ziel hatte. Allerdings verfehlte der Antrag eine Mehrheit.

Verdeckte Volte

Deshalb kam prompt die geharnischte Kritik der ÖVP-Mandatarin am Abstimmungsergebnis. Parallel dazu hatte die Beschlusslage im Verkehrsausschuss des Parlaments noch eine Verschärfung vorgesehen, wonach die Vignette schon Ende 2025 zugunsten eines Road Pricings abgeschafft werden müsste. Dieser Antrag erhielt überraschend keine Mehrheit.

Entscheidend für das österreichische Autobahnpickerl (und vergleichbare Systeme in anderen Ländern) war dann eine bisher kaum beachtete Volte. Ein Abänderungsantrag zu Artikel 47 hat die Definition von leichten Nutzfahrzeugen, die der verpflichtenden fahrleistungsabhängigen Maut unterliegen, deutlich verändert.

Künftig gelte nur noch Minibusse und Vans als solche Fahrzeuge, Pkw wurden gestrichen. Womit das Problem der Regierung aus der Welt sein sollte. Es gab aber ohnehin große Zweifel, dass ein Road Pricing unter den Regierungen konsensfähig sein könnte. Neben Österreich haben beispielsweise auch Ungarn und Slowenien vergleichbare Systeme, und in Deutschland ist die Einführung einer "Ausländermaut", wie Kritiker sagen, geplant. Daher war schon bisher klar, dass das Road Pricing für Pkw "nie kommt", wie Abgeordneter Ferber erläutert. Womit die ganze Aufregung rund um die "Autofahrerabzocke" ohnehin etwas künstlich war. (Andreas Schnauder, 29.10.2018)