Der ehemalige Vizekanzler Josef Riegler hat vor 30 Jahren das Konzept der sozialen Marktwirtschaft um eine ökologische Komponente bereichert – gedankt wurde es ihm bisher kaum.

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Wien – Auf Ludwig Erhard (1949 bis 1963 deutscher Wirtschaftsminister, anschließend drei Jahre CDU-Chef und Bundeskanzler) und sein Konzept der "sozialen Marktwirtschaft", die Wohlstand für alle bringen sollte und das auch im Wesentlichen geleistet hat, werden noch gelegentlich Lobeshymnen gesungen. Der Begriff der "ökosozialen Marktwirtschaft", die vor gut 30 Jahren vom damaligen österreichischen Landwirtschaftsminister Josef Riegler quasi als Fortschreibung der sozialen Marktwirtschaft im Eindruck des schon damals bekannten Klimawandels entwickelt wurde, hat keine so glückliche Karriere erlebt.

ÖVP verleugnete ökosoziale Anliegen

1990 ist Rieglers ÖVP mit einem ökosozialen Wahlprogramm gegen den amtierenden Bundeskanzler Franz Vranitzky angetreten. Wahltechnisch war das ein grober Misserfolg (minus 9,2 Prozentpunkte auf 32,1 Prozent), und viele in der ÖVP sahen sich blamiert: Der Begriff "ökosozial" wurde danach zwar noch an versteckter Stelle in die eine oder andere Parteipublikation aufgenommen, in der praktischen Politik hatte er aber kaum noch Bedeutung.

Riegler selbst hat sich aus der Tagespolitik zurückgezogen – und sich seit seinem Abschied aus der Spitzenpolitik 1991 auch jeglicher tagespolitischen Kommentare enthalten. Seinem programmatischen Lebenswerk ist er aber mit dem Thinktank Ökosoziales Forum treu geblieben – und hat im Beamtengewerkschaftschef Norbert Schnedl inzwischen einen einflussreichen Mitstreiter gefunden. Zu Rieglers 80. Geburtstag am 1. November hat Schnedl ein Buch herausgegeben (Vorrang Mensch! – Verlag DTW ZukunftsPR), in dem die ökosoziale Idee nochmals aktualisiert wird.

Umstellungskosten führen zu Fehlentscheidungen

Dabei zeigt sich, dass sie eine beachtliche Zahl hochrangiger Unterstützer aus unterschiedlichen politischen Lagern hat – von Bundespräsident Alexander Van der Bellen abwärts über die Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bis zu Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ).

Warum sich das dann nicht in praktischer Politik niederschlägt? Karl Aiginger, früherer Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo und langjähriger ökonomischer Berater Rieglers, versucht eine Erklärung: "Man glaubt, dass alles, was dem Klimaschutz dient, der Wirtschaft schadet." Beispiel Autoindustrie: "Man weiß längst, wo es in Zukunft hingehen muss, aber Merkel tut alles, damit es nicht passiert. Natürlich ist es am Anfang teurer, wenn man so wirtschaftet, dass das Klima geschützt wird. Wir lenken unser Verhalten ständig nach falschen Preisberechnungen. Und alte Technologien sind zugegebenermaßen bequemer."

Hitzetote mahnen

Aber diese Bequemlichkeit kostet Menschenleben. In Österreich gibt es schon mehr Hitzetote als Verkehrstote – im Vorjahr standen nach Berechnung der Ernährungssicherheitsagentur Ages 586 Hitzetote 413 Verkehrstoten gegenüber. Auch ökonomisch sei es mittel- und erst recht langfristig teurer, wenn man nicht die höchsten technisch machbaren UmweltsStandards einhalte: "Der Satz 'no gold-plating' ist nicht nur vom eigenen Nutzen her falsch, er ist auch ethisch falsch", erklärt Aiginger. Dass dieser Satz ein Kernsatz des Programms der türkis-blauen Regierung ist, sagen weder Aiginger noch Riegler dazu, aber dass die Politik der aktuellen Regierung gemeint ist, versteht sich von selbst.

Weniger selbstverständlich ist, dass der ehemalige ÖVP-Chef (1989 bis 1991) Riegler sich inzwischen als Kapitalismuskritiker versteht: "Der profitgetriebene Kapitalismus scheitert immer wieder", sagt Riegler dem STANDARD und zeigt dabei Mitgefühl für die Manager, die er kennt: "Die armen Menschen in den Vorstandsetagen hängen ständig der Profitmaximierung nach. Dabei gibt es durchaus Profiteure eines ökosozialen Wirtschaftens, aber diese melden sich zu wenig zu Wort."

Grundlegende Reform der Steuerpolitik notwendig

Von der Steuerreform, die die aktuelle Regierung plant, erwarten sich Riegler und Aiginger keine entscheidenden Impulse: Zwar werde jetzt wieder angekündigt, dass Arbeit entlastet und Umweltverbrauch belastet werden müsse, doch würde man wohl die kleinen Einkommen weiter mit relativ hohen Sozialabgaben belegen, fürchtet Aiginger – "herauskommen wird dann wieder eine bloße Tarifsenkung". (Conrad Seidl, 29.10.2018)