In der SPD war Sonntagabend niemand in Feierlaune. Ein Gläschen dürften sich angesichts der Verluste dennoch manche genehmigt haben.

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Wiesbaden/Berlin – 2.879.302 Menschen haben am Sonntag im deutschen Bundesland Hessen gültig gewählt, den Ausschlag um Platz zwei gaben am Ende 94 von ihnen. Diese Zahl ist – zumindest laut dem vorläufigen Endergebnis aus der Nacht auf Montag – der Stimmenunterschied zwischen den zweitplatzierten Grünen und der SPD (19,8 Prozent).

Auswirkungen auf die Sitzverteilung im hessischen Landtag hat das nicht – beide Mitte-links-Parteien haben 29 Mandate, zusammen mit den 40 von Wahlsieger CDU (27 Prozent) würde das für eine Zwei-Parteien-Koalition reichen. Wahrscheinlich ist daher, dass es in Wiesbaden auf eine Fortsetzung von Schwarz-Grün mit Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Vize Tarek Al-Wazir (Grüne) hinauslaufen wird. Allerdings hätte auch eine Ampel aus Grünen, SPD und FDP eine Mehrheit von einer Stimme.

Durchaus Folgen hat das Ergebnis jedenfalls für die SPD. Die auch bundesweit kränkelnde Partei und ihre Chefin Andrea Nahles hatten vor der Wahl die Devise ausgegeben, zumindest Platz zwei gegen die Grünen sei zu verteidigen. Dass das nun misslungen ist, bringt die Chefin der Sozialdemokraten, die bisher stets für eine Fortsetzung der großen Koalition im Bund plädiert hat, weiter ins Trudeln. Das hatte auch am Wahlabend schon zumindest rhetorische Folgen. Bereits Minuten nach den ersten Ergebnissen beklagte Nahles den "Zustand der Bundesregierung", der "nicht akzeptabel" sei: "Zu den Verlusten der SPD in Hessen hat die Bundespolitik erheblich beigetragen", so Nahles.

Sie und die Ihren in der SPD wollen daher bei einem Treffen am Montag die Forderung nach einem Mechanismus beschließen, um die Handschrift der eigenen Partei in Berlin deutlicher sichtbar zu machen. Helfen soll dabei ein "klarer, verbindlicher Fahrplan", auf den der Koalitionspartner Union verpflichtet werden soll, mit Themen, die die Sozialdemokraten als ihre Stärken sehen, etwa einem qualitativen Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen.

"Das Schicksal der Koalition" soll sich den Plänen nach dann im Herbst 2019 entscheiden, wenn die SPD bei der Halbzeitbilanz überprüft, ob ihre Vorstellungen in ausreichendem Maß umgesetzt worden sind. Nahles stellt damit der Union freilich auch die Rute ins Fenster: Werden die Vorstellungen der SPD nicht umgesetzt, platzt die Koalition – und zwar aus inhaltlichen Gründen, mit denen die Sozialdemokraten dann in der Wahlkampf ziehen könnten.

SPD-Chefin Andrea Nahles will die Unionsparteien auf einen fixen Regierungsfahrplan verpflichten und so Zeit kaufen.
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Ob die Regierung bis dahin hält, ist allerdings alles andere als sicher. Denn außerhalb der Gruppe um Nahles hatten sich in der SPD schon vor der Wahl die Stimmen gemehrt, die ein Ende mit Schrecken der Fortsetzung der Koalition vorziehen. Dieses, so deuten Umfragen an, wäre allerdings nun noch deutlich schrecklicher für die SPD als vor wenigen Wochen: Umfragen sehen die Sozialdemokraten bundesweit bei nur noch rund 15 Prozent, deutlich hinter den Grünen, teils auch hinter der AfD.

Wegen der Angst vor Neuwahlen sind die Stimmen der Koalitionsgegner in der SPD zuletzt leiser geworden. Auch Kevin Kühnert, sonst streitbarer Chef der Parteijugend und Gegner der Regierung mit der Union, gab sich am Sonntagabend zunächst eher milde. Er witzelte zunächst auf Twitter, wegen der Zeitumstellung stehe es für SPD nun "nicht mehr fünf vor zwölf, sondern nur fünf vor elf".

Jusos-Chef Kevin Kühnert fordert seine Partei auf, sich auch auf Neuwahlen vorzubereiten.
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Später, auf Phoenix, sagte er dann aber doch, die Partei müsse sich auf Neuwahlen einstellen, zu denen man "nicht mehr mit dem Programm von 2017 antreten" könne. Die SPD müsse "klarmachen, wofür sie in den großen Fragen jenseits der Regierungspolitik steht". Am Montag klang es dann wieder schärfer: Kühnert tweetete in der Früh, das Urteil über diese GroKo sei "final gesprochen", der Ruf der Wählerinnen und Wähler habe nicht "zurück zur Sacharbeit" gelautet.

Neuwahlen bleiben jedenfalls möglich, heißt es in der SPD, sie könnten schließlich auch vom Koalitionspartner ausgelöst werden: Angela Merkel soll nicht mehr für den CDU-Vorsitz im Dezember kandidieren. Und auch für CSU-Chef Horst Seehofer, der die Schlappe seiner Partei bei der Bayern-Wahl vor zwei Wochen scheinbar schadlos überstanden hatte, könnte das Eis nun wieder dünner werden – was freilich nicht wegen der Personalie selbst, wohl aber wegen der entstehenden Unruhe der Koalition schaden könnte. (Manuel Escher, 29.10.2018)