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Das Wahlverhalten in Hessen im Vergleich zu 2013.

Foto: Reuters/RALPH ORLOWSKI

Wiesbaden – Hessen ist anders als Bayern, jedenfalls wenn man in die Tiefe geht. Denn während sich die Resultate der beiden Landtagswahlen ähneln – Verluste für Union und SPD, Gewinne für Grüne und AfD, Sinnkrise in der Berliner Koalition –, ist das Ergebnis vom Sonntag deutlich anders zustande gekommen als das in Bayern vor zwei Wochen. Und anders als im Süden Deutschlands, wo sich viele einfache Grundannahmen zur Wählerwanderung nicht bestätigten, entsprach in Hessen vieles doch wieder dem "Conventional Wisdom". Bei weitem aber nicht alles, wie eine Wählerstromanalyse der ARD zeigt.

Da ist zum Beispiel die AfD. Sie hat in Hessen wie in Bayern rund zehn Prozentpunkte gewonnen, die Schwesterparteien CDU und CSU haben etwa gleich viele Wählerstimmen verloren. Die Milchmädchenrechnung, wonach es sich dabei um die gleichen Personen handelt, stellt sich in beiden Fällen als falsch heraus.

Gutteil der AfD-Stimmen von "anderen"

Ein großer Unterschied wird bei genauerer Betrachtung der Wählerströme im Vergleich zu den Wahlen 2013 klar: In Hessen wanderten acht Prozent der ehemaligen CDU-Wähler zur AfD, in Bayern waren es nur 5,5 Prozent der ehemaligen CSUler. Die Konservativen sind damit diesmal der größte "Wählerlieferant" der weit Rechten.

Einen Gutteil ihrer Stimmen erhielt die AfD erneut aus dem Wählersegment "andere", also von solche Wählern, die 2013 weder CDU noch SPD, Grüne, Linke, FDP oder AfD gewählt hatten. In absoluten Zahlen konnte die AfD aus diesem Segment 52.000 Personen überzeugen. Auffallend ist, dass 2013 die rechtsextreme NPD und die weit rechten Republikaner gemeinsam auf etwas mehr als 40.000 Stimmen gekommen waren. Der Schluss liegt nahe, dass viele dieser Stimmen nun zur AfD gewandert sind.

In beiden Fällen, Hessen und Bayern, zeigt sich: Die Grünen gewinnen ihre Wähler von beiden Volksparteien, also sowohl der Union als auch der SPD. Die CSU etwa verlor in Bayern mehr an die Grünen als die SPD, in Hessen war es aber umgekehrt. 142.000 ehemalige Sozialdemokraten, 14 Prozent aller SPD-Wähler des Jahres 2013, machten diesmal ihr Kreuz bei den Grünen.

Wählerstromanalysen hat STANDARD-Blogger Laurenz Ennser-Jedenastik anhand der Nationalratswahl in Österreich im Herbst 2017 erklärt.
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Ein Phänomen, das sich auch bei der Hessen-Wahl wieder zeigt, ist, dass die Wähler den alten Volksparteien "wegsterben". 104.000 ehemalige CDU-Wähler waren bei der aktuellen Wahl nicht mehr am Leben. Bei der SPD waren es 77.000 Personen.

Im Spektrum der Erstwähler, also der Jugendlichen ab 18 Jahren, konnten die Grünen mit Abstand am meisten punkten. 46.000 Erstwähler entschieden sich für die Partei. Bei CDU und SPD waren es jeweils nur 25.000. So kann man den Trend insgesamt in der Alterspyramide nachvollziehen. Kurzgefasst schneiden die CDU und die SPD bei den Älteren am besten ab und bei den Jüngsten am schlechtesten.

AfD-Wähler in Hessen sind weder jung noch alt

Bei der AfD dagegen ist dieser Trend nicht so eindeutig. Zuletzt punktete die rechte Partei weder bei den jüngsten noch bei den älteren Wählern. Viel eher fand sie ihre Unterstützer unter Personen mittleren Alters. Bei der Hessen-Wahl stimmten 10.000 Erstwähler für die AfD – im Vergleich zu CDU und SPD eher bescheiden. Gleichzeitig muss die AfD kaum mit dem Wegsterben ihrer Wähler kämpfen – die Zahl hier liegt bei bloß 7.000 Personen.

Würde die Landtagswahl ausschließlich in größeren Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern abgehalten, wären erneut die Grünen Wahlsieger gewesen.

Insgesamt gingen in Hessen knapp drei Millionen Wähler zur Urne. Die Wahlbeteiligung sank damit von 73,2 auf 67,3 Prozent. Das traf prozentuell alle Parteien in einem etwa gleichen Ausmaß. Wollte man einen Trend ausmachen, wäre aber auch hier der größte Verlierer die SPD, die – von einer geringeren Gesamtzahl ausgehend – fast gleich viele Personen an die Gruppe der Nichtwähler verlor wie die CDU. (Anna Sawerthal, Manuel Escher, 29.10.2018)