Wirtschaftsgeograf Max-Peter Menzel

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STANDARD: Vernetzung spielt im Wirtschaftsleben eine wichtige Rolle, naheliegend, dass sich Branchen auch regional vernetzen – als Vorbild gilt das Silicon Valley. Was macht Cluster erfolgreich?

Menzel: Cluster haben Erfolg, wenn sie besondere Bedingungen schaffen, die für Unternehmen außerhalb des Clusters nicht gelten. Das können Wissensvorteile sein, etwa über Arbeitskräftemobilität. Arbeitskräfte nehmen ihr Wissen mit, es wird mit den neuen Kollegen ausgetauscht, und so wird die Grundlage für Innovationen geschaffen. Da Arbeitskräfte häufig in der Region wandern, ist auch dieser Wissensaustausch regional. Im Silicon Valley war die Arbeitskräftemobilität ein entscheidender Antrieb für den hohen Innovationsgrad.

STANDARD: Stichwort Fachkräftemangel: Das Abwerben wird in Cluster-Regionen erleichtert, wird das Problem dadurch nicht verschärft?

Menzel: Dem Fachkräftemangel kann in einem Cluster gut entgegengewirkt werden. Funktionierende Cluster schaffen ihr eigenes Umfeld, zu dem auch Ausbildungseinrichtungen gehören. Auch können gerade Cluster-Strukturen dazu genutzt werden, Strategien zu entwickeln, um mit dem demografischen Wandel umzugehen. Das Problem des Abwerbens ist immanent, weil es wirklich einfach ist – es ist die gleiche Branche, und das neue Unternehmen liegt in der Nähe. Und aus rein unternehmensinterner Perspektive ist das auch problematisch. Aus der Cluster-Perspektive hat das Abwerben von Arbeitskräften aber eine positive Wirkung. Denn es bedeutet: Wissen, das ein Unternehmen hat, diffundiert schneller zu einem anderen Unternehmen. Das mag auf den ersten Blick auch für ein Unternehmen als Nachteil gesehen werden. Wenn man sich aber das daraus entstehende Lernkonstrukt anschaut, ist es ein Vorteil. Ein Beispiel dafür ist der verschwundene Computer-Cluster in Boston, der zur gleichen Zeit und mit ähnlichem Schwerpunkt wie das Silicon Valley entstanden ist. Im Gegensatz zum Silicon Valley waren die Unternehmen im Bostoner Cluster aber sehr darauf bedacht, dass kein Wissenstransfer und keine Arbeitskräftemobilität stattfinden. Den Cluster gibt es in der Form nicht mehr, die einzelnen Unternehmen haben den Innovationsgrad von dem im Silicon Valley bei weitem nicht erreicht.

STANDARD: Was brauchen Regionen, damit ein Cluster funktioniert?

Menzel: Pauschal kann man das nicht sagen. Cluster funktionieren oft in Regionen, in denen man es auf den ersten Blick nicht erwarten würde. Klassisch würde man sagen, es sind Standortbedingungen, wie Verkehrsanbindung, Hochschulen, vielleicht auch Großunternehmen. Aber Studien haben gezeigt, dass das Funktionieren weniger von den klassischen Bedingungen abhängt, sondern letztendlich davon, wie die Akteure ihre Zusammenarbeit organisieren, ob sie überhaupt zusammenarbeiten.

STANDARD: Sind Cluster dann überhaupt planbar?

Menzel: Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Vorherrschend ist das Argument, dass so ein Cluster nicht planbar ist. Man hat zwar das Bild, wie ein Cluster auszusehen hat, aber weiß wenig darüber, wie er entsteht. Vor zehn, 15 Jahren wurden sehr viele Cluster-Initiativen gefördert, indem Dinge, die zu dem Bild eines funktionierenden Clusters gehörten, wie Vernetzungsorganisationen, Gründungszentren etc. unterstützt wurden. Aber zu verstehen wie ein Cluster funktioniert, heißt eben nicht, zu wissen, wie er entsteht. Diese Prozesse sind fast nicht planbar.

STANDARD: Aber man kann diese Prozesse verstärken?

Menzel: Ja, oft sind es generische Dinge, wie beispielsweise die Förderung für Unternehmensgründungen. Letztendlich gibt es aber keine Blaupause. Die Versuche, Cluster entstehen zu lassen, sind auf jeden Fall mehr gescheitert als geglückt.

STANDARD: Sind Technologie-Cluster eine Möglichkeit, wirtschaftlich abgeschlagene Regionen wieder zu beleben?

Menzel: Es wurde natürlich versucht, alte Industrieregionen wie z. B. das Ruhrgebiet zu revitalisieren, indem man neue Technologie-Cluster gefördert hat. Aber das funktioniert oft nur unter größten Anstrengungen. Wenn eine Region auf eine bestimmte alte Industrie ausgerichtet ist, dann wird es für Unternehmen aus dem Technologiebereich schwierig, in diesem Umfeld zu wachsen.

STANDARD: Weil man dort keine qualifizierten Mitarbeiter findet?

Menzel: Das nicht. Viel mehr hat es damit zu tun, wie diese technologieorientierten Unternehmen funktionieren, was sie brauchen. Das ist natürlich in einer industriell geprägten Region, wie beispielsweise dem Ruhrgebiet, anders als in Berlin, wo es mehr Freiräume gibt und sich Unternehmen ihr eigenes Umfeld besser gestalten können.

STANDARD: Der heimische Hightech-Cluster Silicon Alps freut sich, dass immer mehr Unternehmen dabei sein wollen. Gibt es ein Limit – sowohl regional als auch bei der Zahl der Unternehmen?

Menzel: Ein Limit gibt es erst einmal nicht. Die Möglichkeiten der Vernetzung und der Austausch, der dabei stattfinden kann, erhöhen sich natürlich mit der Zahl der Unternehmen. Aber gerade bei großen Clustern besteht die Gefahr, dass man die Außenwelt nicht mehr wahrnimmt und auf Veränderungen nicht reagiert. Als Beispiel gilt hier der Automobil-Cluster rund um Detroit, wo letztendlich die Anpassungsfähigkeit und die Innovationskraft verloren gegangen sind.

STANDARD: Aber Vernetzung allein ist kein Erfolgsgarant ...

Menzel: Deshalb setzt die EU jetzt auf eine "smart spezialisation policy", auch weil die Politik "Wir möchten jetzt mal einen Cluster fördern!" zu oft nicht funktioniert hat. Die Idee dahinter ist, nicht unbedingt etwas Neues zu generieren oder etwas Vorhandenes zu bewahren, sondern mit der Spezialisierung zu arbeiten, die in der Region vorhanden ist. Diese versucht man zu erneuern, zu verändern oder auch hierauf aufbauend einen Diversifizierungsprozess anzustoßen. Es geht also nicht um Vernetzung per se, sondern das Ziel der Vernetzung ist es, einen regionalen Wandel anzustoßen. Es ist somit viel stärker die gesamte Region im Fokus als ein ausgewählter Cluster. (Gudrun Ostermann, 7.11.2018)