Wien – Die Menschheit befindet sich mitten in einem großen Artensterben. Der weltweite Ressourcenverbrauch der sogenannten grünen Infrastruktur – also von Wasser, Land, Flora und Fauna – steigt rasant. Viele Lebensräume sind dadurch binnen weniger Jahrzehnte verschwunden oder haben deutlich an Qualität verloren. Allein seit 1990 wurden rund 240 Millionen Hektar Wald vernichtet. Die Folgen zeigt der neue Living-Planet-Report auf, in dem der WWF die Erde alle zwei Jahre einer Art Rating unterzieht: Demnach ist der Bestand an Wirbeltieren seit 1970 weltweit um 60 Prozent zurückgegangen.

"Ähnlich einem globalen Börsenindex ist unser Bericht ein Gradmesser für den ökologischen Zustand der Erde", sagt Georg Scattolin vom WWF. Der Bericht berücksichtigt wissenschaftliche Daten zu mehr als 16.700 untersuchten Populationen von mehr als 4.000 Wirbeltierarten weltweit. "Das Artensterben ist nicht auf einzelne Brennpunkte beschränkt, sondern findet auf allen Erdteilen statt", sagt Scattolin.

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Der Mensch verbraucht die Ressourcen der Natur rasant. Die Folge ist ein Artensterben großen Ausmaßes. In den vergangenen 50 Jahren verlor der Amazonasregenwald ein Fünftel seiner Fläche.
Foto: REUTERS/Paulo Whitaker

Wenig Zeit für Gegenmaßnahmen

Viel Zeit bleibt laut Experten nicht: Das Zeitfenster für Gegenmaßnahmen schließe sich bereits. "Die Welt braucht einen globalen Naturschutzpakt, um die Trendwende zu schaffen", sagt Scattolin und fordert ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen ähnlich dem Klimaschutzabkommen von Paris aus dem Jahr 2015.

Scattolin nennt bei der Präsentation des neuen Berichts zwei markante Beispiele: "Innerhalb von 50 Jahren nahm der für ein stabiles Klima wichtige Amazonasregenwald in seinem Ausmaß um 20 Prozent ab. Bei den Flachwasserkorallen gibt es schätzungsweise einen Verlust von 50 Prozent während der vergangenen 30 Jahre."

In nur 30 Jahren ging der Bestand an Korallen um die Hälfte zurück, heißt es im neuen Living-Planet-Bericht des WWF.
Foto: APA/AFP/BIOPIXEL

Erstmals Situation für Österreich berechnet

Auch in Österreich stehen Tiere und Pflanzen unter Druck: Für dieses Jahr hat der WWF zusammen mit der Universität für Bodenkultur in Wien zum ersten Mal einen österreichischen Index erhoben. Für die Analyse wurden 880 Datensätzen aus allen Bundesländern für alle Wirbeltierklassen im Zeitraum von 1986 bis 2015 erstellt. Demnach sind in diesem Zeitraum die Wirbeltierbestände in Österreich um 70 Prozent zurückgegangen. Dabei sei zu bedenken, so der WWF, dass die Bestände bereits ab 1970 abgenommen haben.

Tierarten, deren Bestände besonders drastisch gesunken sind, sind beispielsweise Äskulapnatter, Sumpfschildkröte, Kreuzkröte, Gelbbauchunke, Huchen und Äschen.

Flächendeckendes Monitoring gefordert

Die Ergebnisse für Österreich zeigen "konkrete politische Versäumnisse beim Erhalt der biologischen Vielfalt", kritisiert WWF-Artenschutzexperte Arno Aschauer. Die EU-rechtlich erforderlichen Anpassungen seien nicht ausreichend gewesen. Aschauer fordert mehr Rückzugsorte und Naturschutzgebiete. Zudem müssten umweltschädliche Subventionen gestoppt werden. "Parallel dazu braucht es mehr Forschung und Monitoring, um negative Trends überhaupt erkennen zu können", sagte Aschauer.

Denn lediglich 18 Prozent der europarechtlich geschützten Arten und nur 44 Prozent der europarechtlich gemäß FFH-Richtlinie geschützten Lebensräume würden in einem österreichweit einheitlichen Monitoring untersucht – dementsprechend oft fehlen Schutzmaßnahmen, kritisiert der WWF.

Die Sumpfschildkröte ist in Österreich nur in den Donau-Auen zwischen Wien und der slowakischen Grenze zu finden. 2002 gab es nur noch rund 400 Exemplare. Durch Schutzmaßnahmen konnte sich diese Zahl verfünffachen.
Foto: Nationalparks Austria/Kurt Kracher

Bericht wird seit 20 Jahren erstellt

1998 hat der WWF den ersten globalen Living-Planet-Index veröffentlicht, seither erscheint er alle zwei Jahre. Global können damit Aussagen über die Entwicklung von Beständen der einzelnen Tiergruppen oder auch von Beständen in einzelnen Lebensräumen getroffen werden. Zwischen 1970 und 2014 verkleinerten sich die Populationen im Durchschnitt jährlich um zwei Prozent. (Julia Schilly, 30.10.2018)