Im 18. und 19. Jahrhundert waren schwere Verletzungen sowie einsetzender Wundbrand die häufigste Ursache für Amputationen. Nicht selten liest man in den chirurgischen Handbüchern jener Zeit die Anweisung, die Amputation möglichst sauber durchzuführen, um den amputierten Körperteil anschließend für die den chirurgischen Anstalten oft angeschlossenen Sammlungen präparieren zu können. Auch die in den "Medicinischen Jahrbüchern des österreichischen Kaiserstaates" beschriebenen Fallstudien bestätigen diese Praxis. Allein der Lektüre zufolge müssen sich große Mengen amputierter Gliedmaßen im "Museo des k. k. allgemeinen Krankenhauses" befunden haben. Organe und Weichteile wurden als Feucht- oder Trockenpräparate konserviert, wobei bei letzteren die Gerbung durchaus üblich war. Ein Stück mit großem Seltenheitswert wurde offensichtlich nicht in diese Sammlungen aufgenommen, sondern der Patientin mitgegeben: die "gegärbte weibliche Brust, von Anna Rieckh aus Altstadt Retz No. 118 Operirt Professor Kern Brustkrebs 1813, in Wien", die sich heute im Stadtmuseum Retz befindet.

Anna Rieckhs amputierte Brust.
Foto: Lukas Kerbler

Die Erkrankung

1985 wurde der "Brustkrebsmonat Oktober" (Breast Cancer Awareness Month, BCAM) eingeführt, um Vorbeugung, Erforschung und Behandlung von Brustkrebs in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Tatsächlich ist diese Erkrankung schon sehr lange bekannt, wie etwa das 4,6 Meter lange Edwin-Smith-Surgical-Papyrus aus 2650 v. Chr. beweist, in dem unter anderem eben diese Krankheit abgehandelt wird. Der wahrscheinlich berühmteste Mediziner der Antike, Hippokrates (circa 460-circa 370 v. Chr.), auf den die Bezeichnung Krebs aus dem griechischen karkinos zurückgeht, die in der Folge für alle bösartigen Tumore angewendet wurde, erklärte die Entstehung dieser Erkrankung durch den Überschuss schwarzer Galle – wahrscheinlich weil der unbehandelte Tumor im fortgeschrittenen Stadium häufig einblutete und sich dadurch zunehmend schwarz verfärbte. Hippokrates sprach sich jedenfalls gegen eine Entfernung des Tumors aus, da jene Frauen, die sich einer Operation unterzogen, noch rascher verstarben als unbehandelte Frauen.

Der Mediziner Galen (zwischen 128 und 131 - zwischen 199 und 216), der den Befund von Hippokrates 260 Jahre später bestätigte und dessen Vier-Säfte-Lehre mit seiner Vier-Elemente-Lehre vereinigte, versuchte sich erstmals in systematisch-pharmakologischen Ansätzen in der Brustkrebsbehandlung mit Opium, Steinöl, Schwefel oder Lakritze. Auch er riet von einer Operation ab, da der Tumor seiner Beobachtung nach rasch nachwuchs. Brustkrebs wurde damit als eine unheilbare und zum Tode führende Erkrankung des gesamten Körpers angesehen. Diese Erkenntnis hielt sich 2000 Jahre lang.

Erst mit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Schwarze-Galle-Theorie von Hippokrates und Galen zunehmend angezweifelt, vor allem von französischen Ärzten. Mitte des 18. Jahrhunderts berichteten Henri Le Dran (1685-1770) und Claude-Nicolas Le Cat (1700-1768) über längere Überlebensraten, wenn die befallene Brust zusammen mit den Lymphknoten in der Achsel entfernt wurde. Im Jahr 1740 ging der französische Arzt Jean Astruc (1684-1766) sogar so weit, ein gekochtes Stück des Tumors zu kosten und mit einem Stück gekochten Rindfleisch im Geschmack zu vergleichen. Da er keinen deutlichen Unterschied ausmachen konnte, galt die altertümliche Sicht des Gallen-Überschusses als nunmehr endgültig widerlegt. Somit war der Weg zur chirurgischen Behandlung von Brustkrebs, die eine weitere Ausdehnung des Krebses verhindern sollte, eröffnet.

Die Besitzerin des Präparates

Anna Rieckh, 1776 in Retz geborene Wittenbarth, die in die Familie von Johann Rieckh eingeheiratet hatte, war 37 Jahre alt, als sie sich im Jahr 1813 der Brustoperation in Wien unterzog. Nur zwei Jahre zuvor hatte sie den einzigen gemeinsamen Sohn Franz de Paula zur Welt gebracht. Ihr Ehemann, Johann Rieckh, begegnet uns in der Retzer Chronik von 1805 bis 1810 als Richter im Bezirk Wieden in Retz. Er war jedoch keineswegs Stadtrichter, sondern Richter einer Häusergruppe, die der Herrschaft Kaya-Fladnitz im Besitz der Fürsten Trautsohn zugeordnet war, die somit Anspruch auf eine eigene Instanz der Rechtsprechung hatten. Inwiefern sein Status, sein Einkommen oder seine Verbindungen den Ausschlag gaben, dass seine Frau sich in Wien bei einem der angesehensten Chirurgen seiner Zeit operieren ließ, können wir nicht feststellen. Aus den bereits erwähnten "Medicinischen Jahrbüchern" geht jedoch hervor, dass ein Großteil der in den Fallstudien besprochenen Patienten in der chirurgischen Klinik des k. k. allgemeinen Krankenhauses aus einfachen Verhältnissen stammte.

Der gemeinsame Sohn, Franz de Paula Rieckh, Inhaber der Grazer Lederfabrik Franz Rieckh Söhne, war übrigens der Vater von Carl (Jacob Victor) Rieckh (1859-1937), der von ihm diese Lederfabrik übernahm und 1904 nahe dem Grazer Südbahnhof die "Welt-Schuhfabrik" aufkaufte und modernisierte, die heute unter dem Namen "Humanic" bekannt ist. Es drängt sich hier die Frage auf, ob etwa das gegerbte Präparat seiner Mutter Franz Rieckh veranlasste das Lederhandwerk zu erlernen und Retz zu verlassen, um 1841 die Lederhandelsbefugnis in Graz zu erwerben?

Der Operateur

Der Arzt, der Anna Rieckh operierte, war einer der anerkanntesten Ärzte der Monarchie: Vinzenz Ritter von Kern (1760-1829). Aus einfachen Verhältnissen in Graz stammend, studierte er in Wien Medizin und erwarb sich in Deutschland und Österreich als chirurgischer Leibarzt Praxis, bis er 1795 als Wundarzt des Taubstummen-Institutes in Wien angestellt wurde. Von da an ging seine Karriere steil bergauf: 1805 wurde er als Professor der praktischen Chirurgie an die Universität Wien berufen, wo er auf 1807 die Gründung des "chirurgischen Operations-Instituts" initiierte, mit dessen Leitung er beauftragt wurde. 1815 wurde ihm der Titel eines kaiserlichen Rates verliehen, neben der Ernennung zum kaiserlichen Leibwundarzt. Nachhaltig berühmt wurde er durch eine eigene Technik des Blasenschnitts – seinen Protokollen zufolge verstarben nur zehn von 337 Patienten an den unmittelbaren Folgen der Operation. Darüber hinaus ist Ritter von Kern Autor mehrerer Grundlagenwerke über die chirurgische Praxis.

Vinzenz Ritter von Kern (1760-1829).
Foto: ÖNB

Die Operationstechnik

In seinem Bericht über "Die Leistungen der chirurgischen Klinik an der hohen Schule zu Wien, vom 18. April 1805, bis dahin 1824" bemerkte Ritter von Kern, dass die meisten seiner Patientinnen erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium von Brustkrebs seine Klinik aufsuchten. Vor einem operativen Eingriff wurden in der Regel auch der Uterus, die "Drüsen des Unterleibs, die Meibom’schen und die Achseldrüsen" untersucht. Waren die Achseldrüsen auch betroffen, so wurden diese in einem Arbeitsvorgang "gleichzeitig mit ausgerottet". Waren aber auch der Uterus und die Unterleibsdrüsen betroffen, so verzichtete man auf eine Operation und behandelte die Kranken nur mit beruhigenden Mitteln. In jenen Fällen, in denen sich die Knoten gut lokalisieren ließen und ringsum kein Tumorgewebe zeigten, wurde nur der Knoten oder ein Teil der Brust entfernt.

Im Falle einer radikalen Mastektomie, also einer kompletten Amputation der Brust, wie sie bei Anna Rieckh vorgenommen worden war, wurde die Patientin in eine sitzende Lage versetzt:

"So liessen wir den Arm derselben Seite, von eine Gehilfen unterstützt, nach rückwärts halten, führten bei der linken Brust von dem äusseren, bei der rechten hingegen, von dem inneren Rande der Brust, in dem gesunden Theile derselben anfangend, einen Zirkelschnitt durch die allgemeinen Decken und das Zellgewebe bis auf den großen Brustmuskel los, dass die äussere und obere Gegend der Brust, wo die aus der Achselschlagader kommenden Arterien liegen, zuletzt durchschnitten wurde. Die bald heftigere, bald geringere Blutung wurde immer durch sehr schnell wiederholtes Anwenden des Eiswassers, mittelst großer Badeschwämme, zum Schweigen gebracht, und nur selten war eine Ligatur nöthig; … War das Bluten vollkommen gestillt, und von einem entarteten Rückbleibsel nichts mehr zu entdecken, oder war dieses schon beseitiget; so liessen wir die Kranke auf ihr Lager zurück bringen, die eiskalten Umschläge fort anwenden; wenn die Wunde zu glänzen anfing, die Ränder derselben mit Heftbändern in gegenseitig Annäherung bringen, und die Operirte nun so, wie jede andere Verwundete, nach unseren bereits bekannten Ansichten, behandeln."

Sollten Sie sich nun wundern, warum in den Ausführungen Kerns von keinerlei Anästhesie-Maßnahmen die Rede ist: Es gab keine. Die chirurgische Anästhesie, etwa mittels Äther oder Chloroform, begann sich erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen.

Von Kern schließt seinen Abschnitt über Brustkrebs mit der Feststellung, dass nur äußert selten vollkommene Heilung erfolgte, da sich oft schon während des Heilungsprozesses, und insbesondere während der Menstruation, wieder Wucherungen und Verhärtungen einstellten und sich der Krebs abermals ausbreitete.

Anna Rieckh war somit offensichtlich eine glückliche Ausnahme. Sie überlebte die Amputation noch 29 Jahre, bis sie im Alter von 67 Jahren am 25. Dezember in Retz verstarb. (Celine Wawruschka, 5.11.2018)

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