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Angela Merkel will nicht erneut für den CDU-Vorsitz kandidieren, aber noch Bundeskanzlerin bleiben.

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Nach großen Verlusten für die Christlich Demokratische Union (CDU) bei der Landtagswahl in Hessen am Sonntag kündigte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Montag an, im Dezember nicht mehr für den CDU-Vorsitz zu kandidieren. Bundeskanzlerin will sie noch bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben. Wie lange diese aber noch dauert, wird der neue Parteivorsitz entscheiden, sagt Martin Gross, Politikwissenschafter an der Universität München und Koalitionsexperte.

STANDARD: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel will am CDU-Parteitag nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren. Warum hat sie die Entscheidung schon jetzt verkündet?

Gross: Der Druck innerhalb der CDU ist zu groß geworden. Die Wahlen in Bayern und Hessen haben gezeigt, dass die Bundespolitik eine große Rolle bei den Landtagswahlen gespielt hat. Merkel musste umgehend auf die Ergebnisse reagieren und konnte nicht bis zum Parteitag im Dezember warten.

STANDARD: Können Parteivorsitz und Kanzlerschaft von zwei verschiedenen Personen ausgeübt werden?

Gross: Dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz in dieselben Hände gehören, das hat Merkel wie ein Mantra vor sich hergetragen. Ihrer eigenen Logik zufolge müsste sie das Kanzleramt also gleich oder nach einer gewissen Übergangsphase abgeben.

STANDARD: Merkel möchte aber Kanzlerin bleiben?

Gross: Sollte Annegret Kramp-Karrenbauer, eine Vertraute von Merkel, den Parteivorsitz übernehmen, kann Merkel vermutlich noch länger Kanzlerin bleiben. Eine "Erneuerung" gäbe es nur dann, wenn der oder die neue Parteivorsitzende nicht aus dem Merkel-Lager kommt. Wenn Friedrich Merz den CDU-Vorsitz übernimmt, ist ein neuer Kurs zu erwarten, der stärker auf Wirtschaftsliberalisierung und Sicherheit setzt. Ob jener am CDU-Parteitag allerdings mehrheitsfähig ist, ist schwer abzusehen, weil die Delegierten dort eher hinter Merkel stehen. So wie vor Jahren auch schon Ex-Kanzler Helmut Kohl hat Merkel die Telefonnummern der Delegierten der CDU-Landtagsverbände und pflegt einen intensiven Kontakt zu ihnen, auch wenn in den Landesverbänden ein immer größerer Unmut herrscht, vor allem in Hessen.

STANDARD: Werden jene, die innerhalb der CDU Konsequenzen fordern, sich mit Kramp-Karrenbauer anstelle von Merkel als Parteivorsitzender zufriedengeben?

Gross: Vermutlich nicht, denn von rechts kommt starker Druck. Merkel dient der AfD als Hassfigur, und erst wenn Merkel nicht mehr an der Spitze steht, kann die CDU weniger von rechts angegriffen werden.

STANDARD: Wie wahrscheinlich sind vorgezogene Neuwahlen?

Gross: Dass die aktuelle große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode regieren wird, ist unwahrscheinlich. Merkel ist zwar stark genug, um den Übergang bis zu Neuwahlen zu moderieren. Sollte allerdings jemand den CDU-Vorsitz übernehmen, der nicht aus dem Merkel-Lager kommt, könnte die CDU auf baldige Neuwahlen drängen.

STANDARD: Was kann Merkel tun, um ihre Position zu stärken?

Gross: Meiner Meinung nach kann Merkel ihre Position nur noch durch eine große Rede und ein großes Zukunftsprojekt stärken – dafür hätte sich das Thema Digitalisierung angeboten. Doch ob die Wähler ein großes Zukunftsprojekt von einer Koalition mit dem gleichen Personal annehmen, ist fraglich, denn so wie vielerorts gibt es auch in Deutschland ein Verlangen nach personeller Veränderung. Der CDU ist in der Vergangenheit zwar schon öfter ein Neuanfang mit Angela Merkel an der Spitze gelungen, wie man anhand der drei Koalitionsregierungen sehen kann. Doch jetzt ist der Überdruss gegen Merkel zu groß. Nächstes Jahr stehen Landtagswahlen in Ostdeutschland bevor, bei denen die CDU mit weiteren großen Verlusten rechnen muss. (Flora Mory, 30.10.2018)