Bild nicht mehr verfügbar.

Die Putzhandschuhe "an den Nagel hängen" – mit dieser Symbolik wurde der Frauenstreik in Spanien am 8. März 2018 begleitet.

Foto: Reuters/VINCENT WEST

Bild nicht mehr verfügbar.

Millionen von Teilnehmerinnen.

Foto: Reuters/VINCENT WEST

Am 8. März dieses Jahres probten Frauen in Spanien nicht nur den Aufstand, sondern auch den Stillstand. Blockierte Straßen und Züge, leere Redaktionsräume, Schulen, die geschlossen geblieben: Spanierinnen waren dazu aufgerufen, sich einem feministischen Streik anzuschließen und für 24 Stunden die Arbeit niederzulegen. Nicht nur die Lohnarbeit, sondern auch jene Tätigkeiten, die Frauen tagtäglich unbezahlt im Privaten erledigen. Quer durch das Land hängten Frauen Schürzen aus den Fenstern, um ihren Streik am Herd und an der Waschmaschine sichtbar zu machen. Hunderttausende demonstrierten auf zentralen Plätzen zwischen Bilbao und Sevilla und zeigten Gesicht gegen den Machismo, gegen sexualisierte Gewalt und ökonomische Ausbeutung, die Gewerkschaften vermeldeten eine Beteiligung von 5,3 Millionen Menschen, die zumindest für zwei Stunden ihre Lohnarbeit bestreikt hätten.

Der Streik machte als lebendiges und kraftvolles Zeichen der spanischen Frauenbewegung auch international Eindruck. "Feministische Themen sind durch diesen Streik wirklich gesamtgesellschaftlich zur Debatte gestellt worden", sagt Mira und erzählt von unzähligen Medienberichten und PolitikerInnen, die sich gezwungen sahen, sich zu positionieren. Die feministische Aktivistin, die erst vor kurzem nach Berlin gezogen ist, lebte viele Jahre in Spanien und spürte die Auswirkungen des Frauenstreiks selbst in ihrem kleinen Heimatdorf auf Teneriffa, wo alte Männer auf dem Marktplatz rätselten, wie sie sich denn am 8. März selbst versorgen könnten.

Europaweite Bewegung

In Berlin arbeitet Mira nun mit anderen Aktivistinnen daran, einen bundesweiten Frauenstreik im kommenden Jahr auch in Deutschland umzusetzen. Lokale Gruppen existieren bereits von Freiburg bis Hamburg, Mitte November sollen bei einem ersten deutschlandweiten Vernetzungstreffen konkrete Pläne geschmiedet werden. Politische Streiks sind in Deutschland zwar nur sehr eingeschränkt möglich, die Aktivistinnen suchen jedoch bereits den Kontakt zu den Gewerkschaften, um mögliche Protestformen auszuloten und auch in Betrieben Druck aufbauen zu können. "Auch die Erfahrungen von ErzieherInnen und PflegerInnen, die in Deutschland zuletzt gestreikt haben, sind für uns sehr wertvoll", sagt Mira.

Vorbild Island

Frauenstreik liegt aktuell europaweit in der Luft. In Polen mündete der Protest gegen ein Abtreibungsverbot in eine eindrucksvolle feministische Bewegung, anderenorts wird traditionelle "Frauenarbeit" bestreikt. Erst vor kurzem legten rund 8.000 Frauen im schottischen Glasgow für zwei Tage ihre Arbeit nieder: Beschäftigte der Stadtverwaltung, die in Schulkantinen, in der Reinigung oder in Kindertagesstätten tätig sind, streikten für mehr Lohngerechtigkeit. Mit den niedrigen Löhnen wollen sich die Angestellten nicht länger abfinden. "Equal pay or we walk away", skandierten die Schottinnen auf ihrem Protestmarsch. Ein Zeichen gegen ungleiche Bezahlung setzten Ende Oktober auch die Isländerinnen.

Ausgerechnet in jenem Land, das 2017 im Global Gender Gap Report des World Economic Forum den ersten Platz belegte, waren Frauen dazu aufgefordert, am 24. Oktober um Punkt 14.55 Uhr ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Denn trotz aller Gleichstellungsbemühungen erzielen auch in Island Frauen durchschnittlich nur 74 Prozent des Einkommens von Männern, meldet die Organisation Kvennafrí, die den Protest organisierte und die Losung "Don't change women, change the world" ausgegeben hatte. Schon 2016 und 2010 streikten die Isländerinnen am 24. Oktober. Es ist jenes historische Datum, an dem 1975 der erste große Frauenstreik mit rund 25.000 TeilnehmerInnen – vor allem in der Hauptstadt Reykjavík – stattfand. Eine erfolgreiche Protestaktion, der sich angeblich neunzig Prozent der Frauen anschlossen und die nicht nur die Frauenbewegung auf der Insel nachhaltig prägte: Noch immer berufen sich Frauenorganisationen weltweit auf den historischen Streik der Isländerinnen.

Schweizer Jahr der Frau

Auch in der Schweiz existiert ein historischer Bezugspunkt für aktuelle Streikbemühungen. Unter dem Motto "Wenn Frau will, steht alles still" sollen sich am 14. Juni 1991 rund eine halbe Million Frauen am Streik beteiligt haben, 1994 kam es im Nachbarland Deutschland zum bundesweiten Frauenstreik. Die Schweizer Streikinitiative ging vom Gewerkschaftsbund aus, zehn Jahre nach der Verankerung der Gleichstellung von Mann und Frau in der Bundesverfassung wollte man in der Schweiz endlich "Taten sehen". Rund 25 Jahre später brodelt es in der konservativen Schweiz erneut: Die Republik erlebt aktuell einen feministischen Aufbruch.

#Aufschrei und #MeToo sorgten wie in so vielen europäischen Staaten für landesweite Debatten, am 22. September gingen in Bern 20.000 Menschen auf die Straße, um für Lohngleichheit und gegen Geschlechterdiskriminierung zu demonstrieren. "Mit dieser enormen Beteiligung hatte ich nicht gerechnet, ich war wirklich begeistert", erzählt Natascha Wey im STANDARD-Interview.

Wey ist Gewerkschafterin und Kopräsidentin der SP-Frauen, im vergangenen Jahr setzte sie mit der Frauenorganisation das "Manifest für eine konsequent feministische Sozialdemokratie" durch, das von der Delegiertenversammlung der SP Schweiz im Oktober verabschiedet wurde. "Unser Feminismus ist ein Befreiungskampf", ist darin zu lesen, gefordert werden unter anderem eine 25-Stunden-Woche, die Ehe für alle und ein partnerunabhängiger Aufenthaltsstatus bei häuslicher Gewalt. Für 2018/2019 haben die SP-Frauen gemeinsam mit den JungsozialistInnen das "Jahr der Frau" ausgerufen – mobilisiert werden soll unter anderem für einen erneuten Frauenstreik am 14. Juni. "Es gibt immer mehr junge Frauen, die sagen: 'Es reicht jetzt'", so Wey.

Dezentral und rebellisch

Erneut sind es die Gewerkschaften, die für eine Initialzündung sorgten, in der Westschweiz existiert bereits in jedem Kanton ein Frauenstreik-Kollektiv, auch in der Deutschschweiz kommt die Bewegung ins Rollen. Beteiligt sind linke Organisationen wie die "Bewegung für den Sozialismus" – dort engagiert sich die Zürcher Studentin Hannah Borer. "Es gibt keinen vorgefertigten Plan, wie und wo die Frauen streiken werden. Es ist wichtig, dass die Selbstorganisierung der Frauen im Zentrum steht", sagt die Aktivistin.

Nachdem eine Arbeitsverweigerung gerade prekarisierte Arbeiterinnen oder Alleinerzieherinnen vor große Herausforderungen stellt, wird an solidarischen und kreativen Protestformen gefeilt. Schon in den vergangenen Jahren sei die Beteiligung an Frauentagsprotesten gestiegen – Feminismus liegt international im Trend. Das findet Borer durchaus positiv, "aber Feminismus wurde zum Teil natürlich auch vermarktet und nicht mehr in einen größeren Zusammenhang gestellt". Ein Frauenstreik habe das Potenzial, der ökonomischen Frage wieder mehr Gewicht zu verleihen und mit anderen Themen zu verknüpfen, hofft die Studentin.

Es gärt

Feministische Streikbewegungen sind keineswegs ein europäisches Phänomen. Auch die Women's-March-Bewegung in den USA rief 2017 international zu Frauenstreiks auf, prominente Feministinnen wie Angela Davis und Nancy Fraser forderten in einem gemeinsamen Text einen solidarischen Feminismus für die 99 Prozent, der im Gegensatz zu einem neoliberalen "Lean in"-Feminismus strukturelle Gewalt in all ihren Formen fassen müsse: häusliche Gewalt ebenso wie ökonomische Ausbeutung, rassistische und homofeindliche Diskriminierung und Angriffe auf die körperliche Selbstbestimmung.

Als Vorbild diente den Autorinnen die eindrucksvolle argentinische "Ni Una Menos"-Bewegung, die sich 2015 als Antwort auf eine Welle an Femiziden und sexualisierter Gewalt formierte und ebenso Streikformen entwickelte. Während sich 2017 solidarische Proteste noch vorrangig im Netz abspielten, werden Streikpläne vielerorts immer konkreter. Eine Kostprobe, wie die Welt ohne schlecht und unbezahlte Frauenarbeit aussieht, könnte bald nicht nur die Spanier erschaudern lassen. (Brigitte Theißl, 2.11.2018)