Rot oder blau? Der Himmel über dem Kapitol ist unentschlossen – so wie noch manche Amerikaner.

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"Migrantenkarawane" und Obamacare, Paketbomben und Terroranschläge, selbstherrliche Aufrufe zur Einheit und wüste Attacken, Debatten über die Staatsbürgerschaft: Über die Amerikaner bricht derzeit eine wahre Informationslawine herein, nicht alles, was durch die Medien schwirrt, ist wahr und vieles noch effektheischender aufgebaut als sonst. Das ist natürlich kein Zufall: Republikaner und Demokraten bereiten sich auf das Finish im Kampf um das Repräsentantenhaus, den Senat, 36 Gouverneursposten und unzählige lokale Ämter vor, die alle am 6. November, im Rahmen der Midterm-Elections, vergeben werden.

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Vor allem Donald Trump und seine Republikaner waren im Kampf um die Aufmerksamkeit für ihnen dienliche Themen lange unterlegen gewesen. Auch so lässt sich das Insistieren des Präsidenten auf den angeblichen Gefahren der "Migrantenkarawane" erklären, deren rund 3.500 Mitglieder derzeit auf dem Weg durch das südliche Mexiko zur Grenze der USA sind. Die nicht immer wahrheitsgemäßen Warnungen vor "Gang-Mitgliedern", "Terroristen" und "Unbekannten aus Nahost", die sich unter die vermeintlich bezahlten Migranten gemischt hätten, verfehlten ihr Ziel nicht: Die Basis der Republikaner ist laut Umfragen mittlerweile genauso motiviert, am 6. November abzustimmen, wie jene der Demokraten – ein Trend, der sich auch in den bereits eingesandten Briefwahlsendungen widerspiegelt.

Aufgeheizte Stimmung

Das sind gute Nachrichten für Trump, denn lange hatte man eine niedrige republikanische Wahlbeteiligung befürchtet. Auch sein der Verfassung widersprechender und daher kaum realisierbarer Plan, die Vergabe der Staatsbürgerschaft bei Geburt im Inland via Erlass zu stoppen, soll einheizen.

Dass es aufseiten Trumps gar kein Innehalten gibt, löst harte Kritik aus. Denn sowohl Cesar Sayoc, der Paketbomben an zwölf prominente Trump-Gegner verschickt hat, als auch der rechtsradikale Antisemit Robert Bowers, der am Wochenende bei einem Terroranschlag elf Menschen in einer Synagoge in Pittsburgh ermordete, prangerten kurz vor ihren Taten die drohende "Invasion" in sozialen Medien an. Trump wies die Schuld von sich und rief zur Einheit auf. Gegner halten das angesichts seiner wenig Einheit stiftenden, oft teils aufhetzenden Rhetorik freilich für einen zynischen Schachzug.

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Wie sich die Ereignisse der letzten Wochen in den Umfragen insgesamt abbilden, ist noch nicht ganz klar. Vor allem, weil sich die Resultate teils widersprechen.

  • Da ist zunächst Trumps persönliche Zustimmungsrate, das Approval Rating. Dieses hat zwar keinen direkten Einfluss, gilt aber als Indikator. Nach einem langsamen Anstieg hat es zuletzt bei rund 42 Prozent verharrt, so die Datensammler von FiveThirtyEight. Dafür tickte die Ablehnung jüngst von rund 51 auf 53 Prozent nach oben.

  • Dann ist da jener Datenpunkt, der den Republikanern Hoffnung macht, der Senat. Die kleinere Parlamentskammer, die Gesetzen zustimmen und Höchstrichtern und Ministern ihren mehrheitlichen Segen geben muss, bietet den Republikanern, die derzeit 51 Sitze haben, Zugewinnchancen. Die 100 Mitglieder werden in Zwei-Jahres-Schritten je zu einem Drittel erneuert. 26 von 35 Sitzen, die heuer vergeben werden, müssen die Demokraten verteidigen – viele in solide republikanischen Staaten. Umfragen sehen sehr wahrscheinlich 50 republikanische Sitze, möglich sind auch 54 oder 55.

  • Umgekehrt ist die Lage im Repräsentantenhaus. Viel mehr Sitze als sonst sind diesmal in der gesetzgebenden Kammer für die Demokraten zu holen. Das liegt an der Unbeliebtheit Trumps bei Frauen, gut Gebildeten und Minderheiten, am erwarteten Anstieg der Beteiligung Junger und an der demokratischen Überlegenheit bei Spenden. In Parteienumfragen, liegt "Blau" landesweit gesehen rund neun Punkte vor "Rot". Vor allem wegen der parteipolitisch gelegten Wahlkreisgrenzen ("Gerrymandering") könnte es aber sein, dass die Demokraten in vielen Wahlkreisen mit ein oder zwei Prozent verlieren und in wenigen anderen mit 80 oder 90 Prozent siegen – und die Mehrheit doch verfehlen.

  • Hoffen dürfen die Demokraten aber auf die Gouverneurswahlen. In 21 von 36 neuwählenden Staaten könnten Demokraten siegen – bisher halten sie davon acht. (Manuel Escher, 1.1.2018)