Wenn ein Regierungschef Deutschlands seinen Rückzug ankündigt, löst das bei den EU-Partnern naturgemäß größere Verunsicherung aus. Das ist bei Angela Merkel nicht anders, als es 2005 bei Gerhard Schröder und 1998 bei Helmut Kohl war – oder 1974, als Willy Brandt Helmut Schmidt Platz machte. Auch wenn (nur) fünf Kanzler in fünf Jahrzehnten von enormer Stabilität zeugen: Immer fragte man sich, ob auf Deutschland weiter Verlass sei.

Jede Veränderung wurde mit Argwohn beäugt. Zu Recht. Denn ob es in Malta, Ungarn, Belgien oder in Polen rundgeht, ist für den Fortgang der EU selten spielentscheidend. Deutschland aber ist das wirtschaftlich stärkste und politisch neben Frankreich einflussreichste Mitglied der Union.

Eine echte Krise in Berlin, die Fortsetzung der Lähmung in der Europapolitik seit Herbst 2017, das wäre schon im Normalfall schwierig. Im Moment ist auch im gemeinsamen Europa nur wenig normal: Großbritannien wird in fünf Monaten aus der EU austreten. Die Brexit-Verhandlungen sind in der kritischen Endphase. Der Streit über die EU-Migrationspolitik geht munter weiter. In Italien scheint die Regierung ausprobieren zu wollen, ob man den Euro destabilisieren, "knacken" könnte. Insofern kommt der von Merkel angekündigte Rückzug zu einem ganz ungünstigen Moment. Erschwerend: Merkel will nur auf Raten gehen, wäre also innenpolitisch geschwächt. Ein klarer Schnitt, eine rasche Regierungsumbildung, wäre für die EU wohl besser. (Thomas Mayer, 30.10.2018)