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Die 44-jährige Demokratin Stacey Abrams hat in vielen Schichten der Bevölkerung Georgias begeisterte Anhänger. Bei der Gouverneurswahl nächste Woche könnte sie Geschichte schreiben.

Foto: AP/John Bazemore

Dass ein Viertel auf der falschen Seite der Bahngleise liegt, ist eine alte Metapher im amerikanischen Süden. Der Forrest Street in Americus sieht man es auf den ersten Blick an. Die Häuser sind kleiner, manche auch deutlich schäbiger als die Villen mit ihren schattigen Veranden, die auf der richtigen Seite der Gleise stehen, näher am Griffin-Golfplatz.

An der Forrest Street leben vor allem schwarze Amerikaner, während die besseren Straßenzüge der weißen Mittelschicht vorbehalten sind. Man wohnt weitgehend getrennt, so ist es noch immer im ländlichen Süden von Georgia, nicht weit von Plains, dem Dorf, aus dem Jimmy Carter stammt, der Mann, von dem es ein wenig zu plakativ heißt, dass er den Sprung von der Erdnussfarm ins Weiße Haus schaffte.

Auf der falschen Seite der Gleise, auf dem staubigen Parkplatz der Bethesda Baptist Church, fährt an diesem sonnigen Herbstnachmittag ein weißer Bus vor, an dem in Balkenlettern steht: Stacey Abrams Governor. Die meisten, die sich vor der kleinen Kirche versammeln, haben dunkle Haut, aber bei weitem nicht alle. Auch weiße Bewohner von Americus sind gekommen, um einer Kandidatin zuzuhören, die demnächst vielleicht Geschichte schreibt. Abrams wäre die erste schwarze Frau, der die Wähler ein Gouverneursamt anvertrauen. Für die USA wäre es eine Premiere, und das ausgerechnet im Süden mit seiner rassistischen Vergangenheit.

Boomtown Atlanta

Abrams hat in Atlanta, Austin und an der Yale School of Law, der besten Rechtsfakultät der USA, studiert. Sie war Steueranwältin, unter dem Pseudonym Selena Montgomery schrieb sie acht Romane, seit sieben Jahren leitet sie die Fraktion der Demokraten im Parlament Georgias. Nun, im Alter von 44, versucht die Pfarrerstochter die Phalanx weißer Männer im Gouverneurspalast zu durchbrechen. Für Thomas Sims (74), einen Ex-Soldaten, der sich im Schatten der Baptistenkirche auf einen Klappstuhl gesetzt hat, um auf Abrams zu warten, ist sie die Frau, die den alten Süden zu Grabe trägt. "Der neue Süden wird sich durchsetzen", orakelt Sims. Die Tage des alten Südens seien gezählt, das bewirke allein der demografische Wandel.

The New South, das ist schon seit längerem ein schöner Slogan, vor allem in Georgia, wo das einst eher schläfrige Atlanta zum Inbegriff einer Boomtown wurde. Und zum Mekka schwarzer Unternehmer, schwarzer Künstler, eine Metropole, die zu beschäftigt ist, um zu hassen, wie klügere Lokalmatadoren bereits verkündeten, als nebenan in Alabama noch Polizeihunde auf schwarze Demonstranten gehetzt wurden.

Foto: Standard

Der neue Süden. Abrams weiß, dass sich das Etikett auch dazu eignet, die Wahrheit zu überkleben. Weshalb sie von ihrem Bruder Walter erzählt, dem Sorgenkind. Während ihre fünf anderen Geschwister Erfolg im Berufsleben hatten, verfiel Walter dem Heroin. Brach sein Studium ab und landete im Gefängnis, wo Ärzte herausfanden, dass er an einer bipolaren Störung litt. Im Knast, erzählt Abrams, habe er die nötigen Medikamente bekommen, ohne zur Kasse gebeten zu werden.

Nach seiner Entlassung habe seine Familie dafür bezahlt, weil die Krankenversicherung die Kosten nur teilweise übernahm und Walter kein Geld verdiente. "Ihr wisst ja, niemand stellt dich an, wenn du vorbestraft bist. Und versuch mal eine Wohnung zu mieten, wenn deine letzte Adresse eine Haftanstalt war." Ihr Bruder, beendet Abrams das Kapitel, sei erneut den Drogen verfallen und wieder hinter Gittern gelandet.

Medicaid ausweiten

Wird sie gewählt, will sie Medicaid, das steuerfinanzierte Gesundheitsprogramm für Geringverdiener, so ausweiten, dass es eine halbe Million Bewohner Georgias zusätzlich abdeckt. Sie fordert höhere Uni-Stipendien für Kinder aus einfachen Verhältnissen und einen Fonds, der Kleinunternehmen zinsgünstige Darlehen gewährt. Ihre Gegner porträtieren sie als eine Politikerin, die vieles verspreche, ohne die Kassenlage geklärt zu haben.

Privat hat Abrams Schulden abzustottern, insgesamt 220.000 Dollar, teils für Kredite, die sie aufnahm, um die Studiengebühren zu finanzieren, teils, um die Arztrechnungen von Verwandten begleichen zu können. "Ich stecke in den roten Zahlen, weil ich ein Leben führe, wie normale Menschen es eben führen", hält sie Kritikern entgegen. Ein von Abrams regierter Staat, warnt ihr Widersacher Brian Kemp, "wäre noch radikaler als Kalifornien".

"Big-Money-Sozialisten"

Alma, der Eigenwerbung nach die Blaubeerkapitale der Nation, ein abgelegenes Nest im Südosten Georgias. Auch Kemp entsteigt einem Bus, er trägt Jeans und lässt sich von Kriegsveteranen begrüßen, bevor er sich auf die Treppe eines Gerichtsgebäudes stellt, um eine zweiminütige Rede zu halten. "Amerika ist wieder da, Leute. Es ist offiziell, wir haben wieder die beste Wirtschaft der Welt." Nun gehe es darum, welche Werte man wolle. Die Werte Georgias oder die Werte Kaliforniens und New Yorks. Dann spricht Kemp von den "Big-Money-Sozialisten", gemeint sind Milliardäre wie George Soros oder Tom Steyer, die seiner Rivalin riesige Dollarsummen spendeten.

Schließlich fragt er den Fahrer seines Busses, so laut, dass alle es hören sollen, wie viel Diesel noch im Tank sei. "Noch ein paar Tropfen", lautet die Antwort, worauf sich Kemp einen Kanister greift, um damit zu wedeln. Wer wolle, könne gern ein paar Scheine hineinwerfen, damit dem Bus nicht der Sprit ausgehe, sagt er. Kalifornien, New York, Big Money, Stacey Abrams. Und dagegen die Sparsamkeit der Provinz, so inszeniert er es. "Meine Kampagne hat genug Geld, es ist nur gerade in euren Taschen", witzelt der Kandidat.

Streit um Wahlregister

Bei aller Leutseligkeit, gäbe es in Amerika Adelige, wäre Kemp so etwas wie feinster Südstaatenadel. Schon sein Großvater saß im Parlament, einer seiner Vorfahren hat 1785 die University of Georgia mitgegründet, bis heute die führende Hochschule des Staates. Kemp gegen Abrams, schon von den Biografien her ist es ein Duell des alten Südens gegen den neuen, so prägnant, wie es prägnanter kaum geht. Kemp gewann die Vorwahlen der Republikaner, indem er den Donald Trump von Georgia gab, hart in jeder Beziehung, am härtesten gegen illegal Eingewanderte. "Ich habe einen großen Truck. Nur für den Fall, dass ich ein paar kriminelle Illegale abfangen und sie selber nach Hause fahren muss", knurrte er am Ende eines Kampagnenfilms, für den er in den Szenen zuvor mit Flinte und Kettensäge posiert hatte.

Der 54-Jährige trägt den Titel eines Staatssekretärs, in der Hierarchie Georgias ist er nach dem Gouverneur die Nummer zwei, unter anderem zuständig für das Organisieren von Wahlen. In Kemps Regie wurden 53.000 Wahlanträge auf Halde gelegt, weil die Namen der Antragsteller nicht exakt so geschrieben waren wie in anderen Datenbanken. Mal fehlte ein Bindestrich, mal ein Buchstabe, mal ein Apostroph. Nur hat nicht nur Stacey Abrams das Gefühl, dass es sich dabei um eine raffinierte Verschleppungstaktik handelt.

Wahlrecht wird nicht verweigert

Denn zu siebzig Prozent sind es Schwarze, deren Anträge in der Schwebe hängen, obwohl Schwarze nur ein Drittel der Bevölkerung Georgias bilden. Warum? Beim Wahlregister arbeiteten mehrheitlich Weiße, antwortet der Journalist und Buchautor Ari Berman. Und Weißen sei die Schreibweise traditionell afroamerikanischer Namen nun mal nicht so vertraut.

Kemp entgegnet, wer am Wahltag mit gültigem Führerschein in einem Wahllokal erscheine, dem werde bestimmt keiner das Wahlrecht verweigern. "Schon klar", erwidert Berman, "aber wenn du einen Brief kriegst, in dem steht, dass mit deiner Registrierung etwas nicht stimmt, kannst du leicht auf den Gedanken kommen, dass sich der ganze Aufwand nicht lohnt." (Frank Herrmann aus Americus und Alma, Georgia, 31.10.2018)