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Willkommen in der Realpolitik! Österreich steigt aus dem Uno-Migrationspakt aus, noch bevor das Paket überhaupt geschnürt wurde. Das mag zwar enttäuschend sein – ja, das ist enttäuschend – für viele, die sich von diesem Dokument endlich eine Initialzündung erwartet hätten für ein weltgemeinschaftliches Vorgehen bei dieser unbestritten schwierigen Thematik, die sich unilateral überhaupt nicht und multilateral nur sehr schwer – wenn überhaupt – lösen ließe.

Doch immerhin ist die Entscheidung stimmig im Duktus der bisherigen Politik dieser türkis-blauen Bundesregierung. Sie hat von Anfang an nicht an die Wirkmächtigkeit des Uno-Migrationspaktes im Sinne der österreichischen Bundesregierung geglaubt. Bei dem Dokument, über das im Dezember in Marokko abgestimmt werden soll, handelt es um eines, das zwar guten Willen zu einer gemeinschaftlichen Behandlung und Lösung der Migrationsfrage erkennen lässt – doch die Kritik, dass es sich um ein weitgehend zahnloses und oberflächlich formuliertes Papier handelt, ist nicht von der Hand zu weisen.

Die wahre Motivation für Österreichs Kritik an dem Pakt und die Ablehnung des Abkommens liegt eher nicht im völkerrechtlichen Zweifel, sondern im Blick auf die eigene Wählerschaft in Österreich. Diese wurde vor einem Jahr mit der Angst vor Migranten gewonnen, diese will mit der Angst vor Migranten bei Laune gehalten werden. Also: Raus aus dem Pakt!

Nachvollziehbar, aber bedauerlich

Das ist nachvollziehbar, das ist argumentierbar, aber trotz aller Mankos in Formulierung und Zustandekommen des Uno-Migrationspakts bedauerlich. Denn Österreich übt noch zwei Monate lang die Funktion des EU-Ratsvorsitzes aus – erfüllt also noch zwei Monate lang eine (zumindest organisatorisch) wichtige Rolle bei der Definition von Schritten, wohin die Europäische Union gehen soll.

Das Thema Migration stand und steht weit oben auf der österreichischen Agenda für dieses Halbjahr, doch konkret geschehen – oder womöglich sogar verbessert – hat sich in dieser Hinsicht nicht wirklich etwas: Die entsprechenden Ratschläge der EU-Kommission werden nicht zügig weiterentwickelt, das gesamte Migrationsthema droht zu einer Debatte um den Schutz der Außengrenzen der "Festung Europa" zu werden – der humanitäre Aspekt droht zu kurz zu kommen.

Das wird auch durch den Ausstieg Österreichs aus dem Uno-Migrationspakt sehr deutlich gemacht – und womöglich sogar beschleunigt. Denn immerhin, siehe oben, ist Österreich zurzeit nicht irgendein kleines EU-Land, sondern Ratsvorsitzender. Der Wiener Schritt könnte daher Regierungen anderer Länder gute Argumente liefern, selbst auszusteigen.

Andere werden folgen

Viel spricht dafür, dass es nicht bei den vier Vertragsverweigerern USA, Australien, Ungarn und Österreich bleiben wird. Nur eine Handvoll besonders wohlhabende Staaten sind tatsächlich Zielländer größerer Migrationsbewegungen – diese Länder haben schon bisher ihre Bedenken geäußert. Es wäre kaum überraschend, wenn schon in Kürze Italien sein "No, grazie" sagen würde. Und danach möglicherweise auch Deutschland, dessen Kanzlerin Angela Merkel gerade dabei ist, ihren eigenen Rückzug aus der Politik auf Raten halbwegs geordnet zu organisieren – und dabei scheitern könnte.

Für die Uno und die Weltgemeinschaft bedeutet das, dass ein weiteres mühsam entstandenes Vertragswerk de facto wirkungslos bleiben wird. Es war nicht das erste Mal – die Zahl ignorierter Resolutionen ist enorm. Und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Wichtig wäre es dennoch, an der Thematik konsequent weiterzuarbeiten, denn nur wenn das Gemeinschaftsinteresse über das Partikularinteresse gestellt wird, wird die Migrationsproblematik gelöst werden können. Das müsste vor allem ein EU-Ratsvorsitzender erkennen. Und danach handeln. Eigentlich. (Gianluca Wallisch, 31.10.2018)