Dass mit dem Erfolg und den Zwängen des Showgeschäfts auch der Leidensdruck einer Popgröße wächst, mag nur ein Klischee sein – reale Beispiele finden sich dennoch genug. Zwei US-amerikanische Filme bieten auf der Viennale nun außergewöhnliche Nahaufnahmen weiblicher Popstars, ohne sich auf die abgespielten Konventionen des Biopics zu berufen. Beide Filmfiguren haben kein konkretes reales Vorbild, sondern sind vielmehr modellhaft angelegt und stehen mithin stellvertretend für Spielformen der Unterhaltungsindustrie.

Superstar am Rande des Nervenzusammenbruchs: Natalie Portman in Brady Corbets "Vox Lux".
Foto: Viennale

Vox Lux von Brady Corbet (The Childhood of a Leader) greift weiter in die Geschichte zurück und erzählt die Stationen einer eng mit äußeren Ereignissen verknüpften paradigmatischen Karriere zum Mainstream-Superstar, während sich Her Smell von Alex Ross Perry (Queen of Earth) mehr als innere Studie einer Alternative-Rockmusikern versteht, die sich immer tiefer im Delirium und in der Selbstzerstörung verliert.

Was die Filme eint, ist ihr Fokus auf den kulturellen Stellenwert der Figur, deren emblematische Qualität, die sie mehr als psychologische Feldforschung interessieren. Corbet nennt seinen Film mit der für den 30-Jährigen charakteristischen Kühnheit am Ende gar ein Porträt des 20. Jahrhunderts. Dies wird etwa dadurch legitimiert, dass Celestes (Raffey Cassidy, als erwachsene Frau Natalie Portman) erster Hit eine Reaktion auf einen an das Columbine-Massaker angelehnten Amoklauf ist, den sie als Jugendliche überlebte.

Masken und Terror

Terror, Ruhm und Celebrity-Kultur bleiben in Vox Lux auf unheilschwangere, ominöse Weise verknüpft (die wuchtige Musik stammt einmal mehr von Scott Walker). Im zweiten Kapitel des Films endet die rauschhafte Europatournee von Celeste und ihrer Schwester Eleanor (Stacy Martin), die noch ein Moment von Unschuld kennt, mit den Anschlägen vom 11. September. Ein Terrorattentat auf einen Ferienort wird im abschließenden Teil wiederum mit Masken ausgeführt, die an eine der Inkarnationen des mittlerweile zum Massenphänomen aufgestiegenen Popstars erinnern.

Trailer zu "Vox Lux".
Movieclips Trailers

Ein Grund mehr für die von ihrer Profession gezeichnete Celeste – Portman spielt sie wie auf Speed -, die Nerven wegzuwerfen und eine bizarre Pressekonferenz abzuhalten. Doch Bradet bewahrt in seiner Star-Dekonstruktion die Ambiguität, selbst wenn er sich am Ende mehr in Richtung Psychodrama bewegt. Er spielt mit den Ausformungen einer auf Spektakel und Idole ausgerichteten Öffentlichkeit und legt gleichzeitig menschliche Kollateralschäden darunter frei.

In Perrys Her Smell gibt es dagegen kein Vorspiel, sondern nur noch den drogen- und alkoholbedingten Zerfall eines von Elizabeth Moss verkörperten Rockstars im Stil der Riot Grrrls der 90er-Jahre. Perry meinte, er habe sich neben Courtney Love auch an der inneren Banddynamik von Guns N'Roses orientiert. Der Film konzentriert sich auf so etwas die Dynamik des Exzesses in langen, sich wellenartig aufbäumenden Szenen. Er tritt vor allem vor Auftritten auf, wenn Becky Something wieder einmal dem Druck nicht gewachsen ist und die Kontrolle verliert. Die Darstellung von Moss, deren Intensität an den Wahn von Gena Rowlands in Opening Night denken lässt, ist eine der beeindruckendsten Leistungen des Jahres. Auch deshalb, weil der Part nicht wie ein Stunt erscheint, sondern die Fragilität und Hilflosigkeit der Figur aufzeigt.

Trailer zu "Her Smell".
ONE Media

Perry geht nicht so weit ins Gesellschaftliche hinein wie Corbet. Aber auch er zeigt die Hinterseite des Pop-Idolismus mit selten gesehener Härte und Kompromisslosigkeit – sogar der Soundteppich klingt hier mehr wie ein Tag mit schweren Kopfschmerzen. (Dominik Kamalzadeh, 31.10.2018)