Was im Zentrum unserer Sonne los ist, verraten solare Neutrinos, die dort bei den Fusionsprozessen entstehen.

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Innenaufnahme des Borexino-Detektors im Gran-Sasso-Untergrundlabor in der Nähe von L'Aquila.

Foto: Borexino Collaboration

Trotz ihrer gewaltigen Ausmaße und ihrer relativen Nähe ist es gar nicht so leicht, herauszufinden, was sich im Inneren unserer Sonne abspielt. Der Kernbereich umfasst etwa 1,5 Prozent des Sonnen-Volumens, beinhaltet aber gut die Hälfte ihrer Gesamtmasse. In diesem ultradichten Bereich wird bei einem Druck von 200 Milliarden bar und einer Temperatur von 15,6 Millionen Kelvin Wasserstoff zu Helium fusioniert. Im Durchschnitt besitzt der Sonnenkern eine mittlere Leistungsdichte von etwa 140 Watt pro Kubikmeter – das ist vergleichsweise wenig. Erst die gewaltigen Ausmaße der Sonne führen zu ihrer hohen Gesamtleistung.

Nicht ganz zwei Prozent der solaren Energieleistung wird in Form von Neutrinos abgegeben, weshalb diese nur sehr wenig wechselwirkenden Teilchen besonders hilfreich sind bei der Erforschung des Zentrums unserer Sonne, zumindest wenn man in der Lage ist, sie zu registrieren. Das Borexino-Experiment im italienischen Gran-Sasso-Gebirgsmassiv 1.400 Meter unter der Erdoberfläche bietet eine solche Möglichkeit, Neutrinos zu erforschen. Nun haben die beteiligten Wissenschafter eine zusammenfassende Analyse ihrer Daten zu solaren Neutrinos veröffentlicht.

Neue Details zum Spektrum solarer Neutrinos

Neutrinos sind die "Geisterteilchen" unter den Elementarteilchen, weil sie fast unbemerkt alles durchdringen können und nur schwer nachzuweisen sind. Sie stammen aus verschiedenen Quellen, zum Beispiel aus dem Weltall oder eben von der Sonne, in diesem Fall "solare Neutrinos" genannt. Die jetzige Veröffentlichung in der Fachzeitschrift "Nature" fasst nicht nur die Messergebnisse zum Spektrum solarer Neutrinos zusammen, sondern leitet aus ihnen auch neue Details über die Vorgänge im Kern der Sonne ab.

Das Borexino-Experiment befindet sich im Gran-Sasso-Untergrundlabor, das vom italienischen Nationalen Institut für Elementarteilchenphysik (INFN) unterhalten wird. Tief unter der Erdoberfläche sind die Versuchsanlagen weit genug vor der kosmischen Strahlung abgeschirmt, sodass das schwache Signal der solaren Neutrinos im Experiment sichtbar wird. Vor 30 Jahren konzipiert, hat Borexino 2007 mit der Aufzeichnung von Daten begonnen. An der intensiven Kooperation sind Einrichtungen aus Italien, Deutschland, Frankreich, Polen, den USA und Russland beteiligt.

Außerordentliche radioaktive Reinheit

Die wissenschaftlichen Errungenschaften des Projekts liegen vor allem in der ausgezeichneten radioaktiven Reinheit des Experiments begründet. Im Vergleich zum umgebenden Gestein enthält das innerste Zentrum der Anlage nur noch kleinste Spuren von natürlicher Radioaktivität: pro Gramm eine Billion Mal weniger Atome der Elemente Uran und Thorium. Diese außerordentliche Reinheit bildet die Basis für eine präzise Vermessung des Energiespektrums der solaren Neutrinos. Damit lassen sich die Raten der im Sonneninnern ablaufenden Fusionsprozesse bestimmen, die empfindlich von Temperatur und Elementzusammensetzung des Sonnenkerns abhängen.

Außer diesem Blick auf die Verhältnisse im Innersten unseres Zentralgestirns liefern die Resultate auch detaillierte Einsichten zu den im Innern der Sonne stattfindenden Neutrino-Oszillationen. Dieser Vorgang beschreibt die Umwandlung der drei verschiedenen Arten von Neutrinos ineinander – ein Prozess, der für die solaren Neutrinos erst 2001 zweifelsfrei nachgewiesen wurde. "Die Resultate von Borexino gehen weit über die optimistischsten anfänglichen Prognosen hinaus", erklärt Gianpaolo Bellini, einer der Väter des Experiments vom INFN.

Detaillierte Messung des gesamten Neutrinospektrums

"Die neuen Ergebnisse von Borexino bestätigen unser Verständnis von den Fusionsprozessen im Sonneninneren auf eindrucksvolle Art und Weise", erklärt Michael Wurm, Physiker an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Borexino-Partner. "Durch die Messung des gesamten Neutrinospektrums zeigt sich darüber hinaus klar, welchen Einfluss die Sonnenmaterie auf die Oszillationen der produzierten Neutrinos hat." Während Neutrinos am unteren Rand des Spektrums die Sonne unverändert verlassen, zeigt sich im oberen Energiebereich ein verstärkter Effekt der Oszillationen.

In weiteren Experimenten mit Borexino soll nun direkt nachgewiesen werden, was die beiden Nobelpreisträger Carl Friedrich von Weizsäcker und Hans Bethe schon in den 1930er Jahren vorhersagten: Der sogenannte "Bethe-Weizsäcker-Zyklus" beschreibt einen Umwandlungsprozess von Wasserstoff in Helium mithilfe eines Katalyseprozesses. "Es ist ein Prozess, der in größeren Sternen – schon ab einer anderthalbfachen Masse unserer Sonne – dominant die Energie produziert", erklärt Kai Zuber, Koautor der Studie von der Technischen Universität Dresden: "Nach 80 Jahren Theorie wäre es ein Hammer, das in der Realität 1.400 Meter unter Tage zu sehen." (red, 4.11.2018)