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Offenes Arbeiten als Methode: Eva Trobisch.

Foto: AP/Alexandra Wey

Alles ist gut erzählt von einer Vergewaltigung, deren Opfer selbst nicht ganz zu wissen scheint, wie sie das Erlebte einordnen soll. Die deutsche Regisseurin Eva Trobisch wurde in Locarno für ihren Film mit dem Preis für das beste Debüt prämiert.

Kraftvolles Ensemblespiel statt bekannter Filmstars: Theaterschauspieler Aenne Schwarz und Andreas Döhler als Paar in "Alles ist gut".
Foto: Viennale

STANDARD: Wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen?

Trobisch: Der Film wird jetzt stark vor dem Hintergrund der MeToo-Bewegung rezipiert. Die Vergewaltigung oder diese Nacht kam aber erst spät ins Buch. Zuerst hatte ich eine Geschichte über ein Diplomatenpaar im Sinn. Piet und Janne waren da noch Nebenfiguren. Dann habe ich ein Jahr Pause gemacht, ein Kind bekommen, danach haben mich die beiden mehr interessiert. Janne ist eine moderne Frau, die sich nicht als Opfer empfindet. Wie geht so eine Figur damit um, wenn sie im archaischen Sinn einem Mann zum Opfer fällt? Und wie verhält sich das, wenn so etwas zwischen Menschen geschieht, die sich kennen? Ich habe das als ein Mobile gesehen und habe das auch aus allen Perspektiven einmal geschrieben. Dieses systemische Moment war bestimmend für den Film.

STANDARD: "Alles ist gut" ist ein Film über einen Vorfall, aber auch über eine sehr spezifische Welt. Wie kam es zum Beispiel, dass Sie München bzw. Bayern als Handlungsort gewählt haben?

Trobisch: München war wichtig für mich, denn das ist so eine Superstadt. Wenn man da durch die Straßen läuft, ist alles aus dem Blickfeld geräumt, was nicht funktioniert und scheitert. Eine durchperfektionierte Welt, sehr reich, man sieht, wie gelungen die Dinge sind. In diese Welt wollte ich Figuren reinsetzen, die sich damit auseinandersetzen müssen, dass sie auf eine Art gescheitert sind. Gescheitert ist auch das Narrativ, dass man alles schaffen kann, wenn man hart genug arbeitet.

STANDARD: Wir lernen Janne und Piet in einem Moment kennen, wo sie etwas Neues anfangen. Sie arbeitet in einem Verlag.

Trobisch: Sie ist eigentlich eine Frau, die meint, dass sie frei ist und frei entscheiden kann, und das wird durch ihre Erfahrung konterkariert. Alles ist gut wäre eine ganz andere Geschichte, wenn das nicht Intellektuelle wären, die mit Sprache arbeiten, die aufgeklärt sind und sich zu Problemen auf der Welt in Verhältnisse setzen. Selbstmitleid verbietet sich im Grunde total. Das sind alles Menschen, die sich selbst nicht in Eindeutigkeiten denken.

STANDARD: In einer Szene ist Janne mit ihrer Mutter in der Sauna. Janne macht eine Andeutung, und die Mutter fährt gleich mit ziemlich großen sprachlichen Registern auf.

Trobisch: Mein Schwiegervater hat gesagt: An der Szene merkt man, dass ich aus dem Osten komme. In einer gutbürgerlichen, westdeutschen Familie ist es undenkbar, dass man mit der Tochter in die Sauna geht. Für mich ist die Sauna ein Ort, an dem man über Dinge spricht. Die Mutter gehört zur 68er-Generation. Sie kommt rasch mit dieser semantischen Keule, mit der beide nicht umgehen können. So ist das ja oft: Alle wissen immer so sehr Bescheid. Es gibt keine Möglichkeit, sich außerhalb der Vorlagen zu orientieren und herauszufinden: Was war das eigentlich? Sofort ist da ein riesiges Bild, eine Zuschreibung von Gefühlen, Verhaltensmustern.

Trailer zu "Alles ist gut".
Moviepilot Trailer

STANDARD: Wonach haben Sie die Schauspieler ausgewählt?

Trobisch: Mir war wichtig, dass es keine Stars sind. Ich wollte, dass es eine Chance gibt, mit den Figuren zu verschmelzen. Die Metaebene rauszunehmen. Dass es jetzt lauter Theaterschauspieler sind, war keine Absicht, ist aber auch kein Zufall. Ich komme auch vom Theater. Die Theaterleute kamen oft mit einem Nulltext relativ unvorbereitet ins Casting, dann hat man sich rangearbeitet. Die Filmschauspieler bereiten sich vor, sie wissen, beim Dreh hat man nicht viel Zeit. Die Haltung der Theaterschauspieler hat besser zu meiner Arbeitsmethode gepasst. Aenne Schwarz ist ein Star an der Burg. Andreas Döhler ist eine etablierte Berliner Theatergröße.

STANDARD: Ein paar Worte zu Ihrem Werdegang?

Trobisch: Ich bin in Ostberlin geboren. Am Theater habe ich erst mal Regieassistenz gemacht. Ich habe dann den klassischen Weg genommen, Kurzfilme, irgendwann Filmhochschule München. Während des Studiums habe ich bemerkt, dass ich mich mehr mit Schreiben auseinandersetzen wollte, und bin an die Tisch School in New York. Das war dann aber nicht meins, alles geht dort sehr von außen nach innen und ist sehr handwerklich. Ich ging dann nach London für einen Screenwriting Master. Da habe ich mit diesem Diplomatenstoff gearbeitet, von der ersten Idee bis zur zweiten Fassung. Daraus wurde schließlich Alles ist gut.

STANDARD: Spielt Ihre ostdeutsche Sozialisation noch eine Rolle für Sie?

Trobisch: Absolut. Ich empfinde mich als wiedervereint und auch als ostdeutsch sozialisiert. Als die Mauer fiel, war ich sechs Jahre alt, aber damals hörte die Geschichte ja nicht auf. Was meine Elterngeneration prägt, ist ja das, was gerade nach der Wende geschah. Erst mal hieß es: Schwamm drüber, und alles ist gut. Die Wiedervereinigung ist sicher eine ganz wesentliche Errungenschaft in der Geschichte. Die Motivation dahinter war keine feindliche Übernahme. Aber dass das für die Ostdeutschen eine Rundumveränderung bedeutet hat, dass viele schmerzhaft getroffen wurden, während für die Westdeutschen sich nichts verändert hat, das ist einfach eine Wahnsinnskluft. Und die wird nicht angefasst. Das wird auch in meinem nächsten Stoff eine Kernfrage. Ich habe ein großes Bedürfnis, davon zu erzählen. (Bert Rebhandl, 31.10.2018)