Der Tod ist ein interessanter Gesprächsstoff. Das wissen all jene, die gerne Krimis lesen. Wer sich schon immer gefragt hat, was Pathologen tatsächlich machen, erfährt in Sue Blacks Buch alles haargenau.

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Sue Black
Alles, was bleibt
DuMont-Verlag 2018
416 Seiten, 24,70 Euro

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Es ist ganz ohne Zweifel: In der aufgeklärten westlichen Welt reden die Menschen nicht so gerne über das Sterben. Zu traurig, zu schmerzlich und zu wenig lebensfroh. Nur einmal im Jahr, rund um Allerheiligen, rückt es ins Zentrum der Aufmerksamkeit, nicht zuletzt weil der 1. November ein Feiertag ist und der Besuch am Friedhof in vielen Familien noch Tradition hat.

Für Sue Black ist dieses Unbehagen gegenüber dem Sterben seltsam. Denn erstens hält sie sich an Zahlen: Jedes Jahr sterben 55 Millionen Menschen, das sind zwei pro Sekunde. Und zweitens ist der Tod und alles, was damit zusammenhängt, ihr Berufsalltag. Die Schottin ist forensische Anthropologin und Anatomin und lehrt an der Universität Dundee.

Der Tod ist für sie also sozusagen das Allernormalste im Leben, und deshalb geht sie die Sache in "Alles, was bleibt" auch vollkommen sachlich an. Anhand zahlloser Kriminalfälle, mit denen sie im Lauf ihrer Karriere zu tun hatte, veranschaulicht sie, wie sich das Leben in die Strukturen des Körpers einfräst – und was Pathologen daraus alles ablesen können.

Liebhaber von Kriminalromanen werden Blacks Buch lieben, weil sie endlich explizite Erklärungen für die Arbeit von Pathologen finden. Interessierte Leser dürfen einen Ausflug in einen Seziersaal unternehmen und erfahren allerhand Wissenswertes über Muskeln, Sehnen und Knochen.

Tod und weiter

Aber auch die Stadien eines toten Körpers von der Leichenblässe bis zur Skelettierung sind aufgrund der vielen Fallbeispiele überaus lesenswert für alle, die sich schon immer gefragt haben, wie Pathologen zu ihren Schlussfolgerungen kommen – und sei es sonntags beim "Tatort". Mitunter lernt man dabei auch neue Wörter kennen, etwa "Nekrobiom": Das sind jene Bakterien, die sich auf toten Körpern ansammeln – und die Schlüsse, die sich daraus ziehen lassen.

Es geht also um Tote, aber auch um Verbrecher und wie man mit Hinweisen von Tatorten auf die vorangegangenen Ereignisse schließen kann. Passend dazu Blacks Definition des Menschseins: "Menschen gehören zu der Gruppe von Lebewesen, die auf Kohlenstoff basieren, vom Sonnensystem abhängig sind, begrenztes Wissen besitzen, Irrtümern unterliegen und sterblich sind." Lakonisch, aber durch und durch wahr.

Um das Thema auch in allen Dimensionen ausleuchten zu können, hat sich Black für einen sehr persönlichen Zugang entschieden. Was Sterben bedeutet und was im Prozess des Ablebens passiert, erklärt sie am Tod ihrer Eltern. Sie diskutiert Sterbehilfe, aber auch die Wichtigkeit, Tote beerdigen zu können.

Gewalt und Natur

Auch das hat einen biografischen Hintergrund. Eines der dramatischsten Kapitel des Buches ist "Kosovo", ihre Schilderung der Bergung hunderter Ermordeter im Kosovo-Konflikt 1999. Was eventuell reißerisch klingt, ist ein einzigartiger Einblick in die Psyche von Menschen – im besten und schlechtesten Sinne.

Wer die fast 400 Seiten durchliest, hat die Chance, den Blick aufs Leben zu verändern. Mit viel Wissen, Witz und Humor leistet Black ihren Beitrag dazu, den Tod als Tabuthema zu brechen. Dabei klammert sie sich selbst nicht aus. "Selbstverständlich weiß ich nicht, wie man stirbt, da ich es noch nie gemacht habe. Doch es kann nicht so schwer sein: Jeder, der jemals gelebt hat, hat es hinbekommen." Sie selbst wird ihren Körper übrigens der Wissenschaft vermachen. (Karin Pollack, 1.11.2018)