Nicht als Filmemacher, sondern als Gitarrenliebhaber und Freund betritt Jim Jarmusch das heimelige Geschäftslokal von Gitarrenbauer Rick Kelly im New Yorker Greenwich Village. Während Kelly mit sicherer Hand Abstimmungen an Jarmuschs mitgebrachtem Instrument vornimmt, unterhalten sie sich über die verwendete Holzsorte. Die aus einem Trompetenbaum gefertigte Akustikgitarre wird zum Anknüpfungspunkt von Kindheitserinnerungen.

Gitarren aus Abbruchholz

Wie die anderen Kunden in Ron Manns Dokumentarfilm Carmine Street Guitars, darunter nicht wenige Meistergitarristen, fühlt sich Jarmusch sichtlich wohl in dem kleinen, mit Werkzeug, Gitarren, Erinnerungsfotos und Hölzern vollgestopften Straßenlokal. Gemeinsam mit seiner Helferin Cindy Hulej baut Kelly dort E-Gitarren aus einem ganz besonderen Material: Abbruchholz aus alten New Yorker Gebäuden.

Schwören auf "Bowery Pine": Gitarrenbauer Rick Kelly (li.) und Filmemacher Jim Jarmusch.
Foto: Viennale

Was die von Jarmusch initiierte Doku verschweigt: Es war niemand anderer als der Filmemacher selbst, der Kelly einst auf diese Idee brachte. Als sein Loft an der Bowery abgerissen wurde, bat Jarmusch den seit den 1970er-Jahren aktiven Gitarrenbauer, ihm aus dem Abfallholz eine E-Gitarre zu fertigen. Seitdem verwendet Kelly fast exklusiv solche "Knochen der Stadt", mit dem vor 200 Jahren New Yorker Hotels, Bars, Kirchen und Wohnhäuser errichtet wurden. Dass es neben dem zweifellos sentimentalen Wert um herausragende Klangeigenschaften geht, werden Kelly und die Besucher seines Ladens nicht müde zu betonen. Und führen es zum Gewinn der Filmzuschauer auch immer wieder vor.

Wenn etwa Ausnahmegitarrist Bill Frisell eine Kreation Kellys in den Verstärker stöpselt, um solo den Beach-Boys-Song Surfer Girl anzustimmen, gerinnt eine persönliche Reminiszenz zur betörenden musikalischen Performance.

Trailer zu "Carmine Street Guitars".
VIFF

Schauplatz der Doku ist ausschließlich die zugleich als Werkstatt und Verkaufslokal dienende Adresse in der Carmine Street, an der wir an fünf Geschäftstagen zu Gast sind. Immer wieder schmiegt sich die Kamera an die Instrumente. Mitunter sind dies ausgefallene Arbeiten, meist aber Kellys Variationen der Fender Telecaster, jener in ihrer Einfachheit archetypischen Urform der E-Gitarre. Zuweilen vermeint man das verarbeitete Holz riechen zu können, Feilgeräusche werden zum akustischen Erlebnis. Für den Soundtrack sorgten wie schon für Ron Manns Doku Tales of Rat Fink (2006) über den Cartoonisten Ed Roth die Countryrocker The Sadies. Deren Häuptlinge Dallas und Travis Good geben sich natürlich auch im Geschäft ein Stelldichein.

Verschwindendes New York

Für viele Kunden ist Carmine Street Guitars weit mehr als eine Gitarrenwerkstatt. Inmitten eines durchgentrifizierten Viertels nimmt sich der Handwerksbetrieb wie eine Bastion des alten New York aus. Oder wie der New Yorker Gitarrist Marc Ribot zu Kelly sagt: "Wenn man an die Leute und Orte denkt, die verschwunden sind, wie sich alles verändert hat, bin ich froh, dass du das noch immer machst und ich hereinspazieren kann, um Hallo zu sagen." (Karl Gedlicka, 2.11.2018)