"Das Ende der Gespräche ist in Sicht", sagte Brexit-Minister Dominic Raab und sorgte damit für Verwirrung gesorgt.

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Stehen London und die EU kurz vor einem Deal für Finanzdienstleister? Die Hoffnung darauf ließ in der Nacht zum Donnerstag das britische Pfund an den internationalen Märkten in die Höhe schnellen, in London notierte es im Morgenhandel um beinahe ein Prozent höher. Offiziell warnen beide Seiten vor übergroßen Erwartungen, die britische Regierung von Premierministerin Theresa May drängt zunehmend auf Kompromisse.

Bereits am Mittwoch hatten Äußerungen von Brexit-Minister Dominic Raab für Verwirrung gesorgt. In einem Brief an den Brexit-Ausschuss des Unterhauses schrieb er: "Das Ende der Gespräche ist in Sicht." Er könne dem Gremium am 21. November Rede und Antwort über einen Deal stehen, wodurch er eine Einigung in den nächsten beiden Wochen vorhersagte. Nach skeptischen Kommentaren aus Brüssel ruderte das Ministerium am Abend zurück: Der Termin sei vom Ausschuss vorgeschlagen und von Raab aus Höflichkeit akzeptiert worden.

Der Bericht der Times über einen "vorläufigen" Deal für Finanzdienstleister entspricht den Wünschen Londons. Um das Verhandlungspaket gegen den Widerstand ihrer eigenen Brexit-Ultras durchs Unterhaus zu bringen, benötigt Premierministerin May gute Nachrichten. Sollte die 68 Milliarden Pfund (77 Milliarden Euro) schwere Branche guten Zugang zum Kontinent erreichen, ließen sich unangenehme Kröten leichter schlucken.

Zugang zum Binnenmarkt

Allerdings streiten die Lobbyisten des weltweit größten Finanzzentrums darüber, ob der angebliche Deal überhaupt vorteilhaft sei. Dem Weißbuch der Regierung zufolge will Großbritannien zwar teilweise im Binnenmarkt für Güter bleiben, bei Dienstleistungen aber eigene Wege gehen. Damit würde der bisher reibungslose Zugang der Finanzindustrie zum Binnenmarkt deutlich schwieriger. Als dies im Juli bekannt wurde, war die Empörung groß: Die angestrebte Lösung sei "ein echter Tiefschlag" für ihren Sektor, kritisierte Catherine McGuinness von der City of London.

Die jetzt in Aussicht gestellte Vereinbarung spricht von einer "Gleichstellung" der Regulierung auf beiden Seiten des Kanals. In der Praxis bedeutet dies, dass London etwaige neue EU-Regeln übernehmen müsste, ohne am Verhandlungstisch mitreden zu können. Brüssel könnte diese bittere Pille dadurch versüßen, dass britische Experten als Beisitzer ohne Stimmrecht in den entsprechenden Gremien vertreten sind.

Seit dem Sommer mehren sich Berichte über internationale Banken, die Vorkehrungen gegen einen harten oder gar Chaos-Brexit treffen. Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat Büros in Frankfurt, Paris und Mailand verstärkt, die Bank of America verlegt ihren Europahauptsitz nach Dublin. Einer Studie des Beratungsunternehmens EY zufolge plant rund ein Drittel von 222 befragten Finanzunternehmen den teilweisen oder gänzlichen Wegzug aus London. Allesamt wollen sie weiterhin ungehindert vom EU-Finanzbinnenmarkt profitieren. Selbst der jetzt in Aussicht stehende Deal würde dies nur mit Einschränkungen ermöglichen. (Sebastian Borger aus London, 1.11.2018)