Florian Lipus liest am 11. 11. um 16.30 bei der Buch Wien im Literaturcafé des STANDARD aus "Seelenruhig" (Jung und Jung).

Foto: Marko Lipus

Nichts auf dieser Welt geht verloren, nichts wird vergessen, nichts bleibt unvergolten", schreibt Florjan Lipus in seinem bislang letzten Prosaband Seelenruhig (Jung und Jung).

Sobald das Wort über die Lippen komme, wenn es aufgeschrieben und gelesen werde, so der 1937 in Eisenkappel geborene Autor, der seine Bücher in slowenischer Sprache verfasst, "ist es draußen in der Freiheit, spreizt es seine Flügel aus und beginnt zu leben." Das Leben und Weiterleben, unter anderem nach der Ermordung seiner Mutter im KZ Ravensbrück – sie hatte als Partisanen verkleidete Gestapo-Männer mit Essen versorgt -, grundiert Lipus' Werk. Und nicht erst seit Handke seinen Roman Der Zögling Tjaz (1972) ins Deutsche übertrug, sind die Bücher dieses Autors Ereignisse. Immer wieder hat sich Lipus für seine Sprache, das Kärntnerisch-Slowenische, stark gemacht. Nachdem ihm Teile des Kunstsenats 2016 den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur, die bedeutendste literarische Auszeichnung dieses Landes, verweigerten, weil er nicht auf Deutsch schreibt, ist Lipus nach wütenden Protesten heuer doch noch mit dem Preis ausgezeichnet worden. Anbei seine Dankesrede:

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Aus aktuellem Anlass möchte ich diesen bachmannschen Satz verdeutlichen: Die Muttersprache ist dem Menschen zumutbar. Die Sprache ist mehr als ein Werkzeug, mehr als eine Begleiterscheinung des Alltags. Die Sprache ist nicht nur ein Unterscheidungsmerkmal, sie ist auch das einzige geistige Fundament, auf dem eine Identität errichtet werden kann. Wenn diese Erkenntnis für die Mehrheitsbevölkerung gilt, so gilt sie umso mehr für die Minderheit. Die Volksgruppe kann ihren Weiterbestand nur auf Kultur und Sprache aufbauen. Die Kärntner Slowenen haben beides zu verlieren. In der Zeit um die Kärntner Volksabstimmung, nach dem Ersten Weltkrieg, war ein Drittel der Kärntner Bevölkerung slowenischsprachig, heute ist die Sprache in den ehemals slowenischen Dörfern nur noch vereinzelt zu hören.

Das ist jedoch nicht der alleinige Grund, warum jemand in Kärnten in seiner slowenischen Muttersprache schreibt. Es geht auch und es geht vor allem um sein persönliches Befinden, um die innere Notwendigkeit, um das Verwirklichen des Einzigartigen, des Eigenen, des Persönlichen. Die heutige Würdigung dessen empfinde ich auch als eine Wiedergutmachung des Unrechts an den Kärntner Slowenen. Während der NS-Zeit wurden über 200 slowenische Familien in Vernichtungslager gebracht oder wurden ausgesiedelt. Und sind die Zeichen der Zeit heute andere? Meine Familie lebt zeitlebens in Kärnten und beinahe schon 40 Jahre in der Gemeinde Sittersdorf / Zitara vas. Diese Gemeinde hat es bisher nicht geschafft, meinen Heimatort Sielach auch in meiner Sprache zu benennen. Die Gemeinde hat es aus Eigenem nicht geschafft, was sie hätte hoch emporheben können, und sie hat es auf öffentlichen Antrag hin nicht geschafft. Vergangenes scheint nicht nur nicht tot, es scheint nicht einmal vergangen, es ist mitten unter uns. Meine Sprache sollte möglichst unsichtbar bleiben, denn auch Ortstafeln sind Sprache. Dabei hätte es sich nur um vier Buchstaben gehandelt, jedoch für Slowenisch sprechende Gemeindebürger um vier wesentliche Buchstaben (Sele).

So wenig die Gemeinde willens war, meinen Wohn- und Lebensort auch in meiner Sprache sichtbar zu machen, um so unvergleichlich viel mehr hat der Österreichische Kunstsenat und in der Folge die österreichische Regierung sichtbar gemacht, nämlich die Sprache als Ganzes. Sie hat dem Slowenischen Achtung erwiesen, sie hat, symbolisch, nicht nur einen kleinen Weiler mit vier Buchstaben, sie hat eine ganze Nation in ihrer Sprache sichtbar gemacht. Wer in seiner Muttersprache träumt, denkt und schreibt, kann weiterhin als brauchbarer Österreicher angesehen werden.

Der Österreichische Kunstsenat hat einen nicht in deutscher Sprache schreibenden österreichischen Staatsbürger für die höchste Auszeichnung vorgeschlagen. Der Österreichische Kunstsenat ist der klugen Maxime des deutschen Bundespräsidenten von Weizsäcker gefolgt: "Es ist den eigenen Interessen am besten gedient, wenn auch die anderen zu ihrem Recht kommen." Auch mein Mutterland Slowenien hat Hochachtung vor dieser Zuerkennung. Preise können zur Völkerverständigung beitragen. Die Zuerkennung macht sich gut im heutigen Europa, und sie macht sich gut im Jahr, in dem Österreich den Vorsitz innehat. Es gibt auch das andere Österreich, das europäische, das aufgeweckte, das weltoffene. Sie haben die slowenische Sprache nicht nur legitimiert, nicht nur aufgewertet, Sie haben sie auch geadelt. Slowenisch ist Österreich zumutbar. Darüber freue ich mich, darüber freuen sich viele, dafür bedanke ich mich, auch im Namen vieler. (Stefan Gmünder, 3.11.2018)