18 Jahre lang prägte Angela Merkel die CDU und Deutschland, jetzt geht diese Ära zu Ende.

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Die Frisur: Modell Topfschnitt. Das Jackett: schlackert. Styling also: null. Und das Lächeln ist auch eher schüchtern. Doch Angela Merkel strahlt, als sie auf der Bühne steht und etwas linkisch in die Halle winkt.

Es ist der 11. April 2000. In diesem Jahr bringt Microsoft das Betriebssystem Windows 2000 auf den Markt, erscheint der vierte Band von "Harry Potter", wird George W. Bush zum ersten Mal zum US-Präsidenten gewählt und Sebastian Kurz ist 13 Jahre alt.

Und die Delegierten des CDU-Parteitages in Essen wählen Merkel zur neuen Chefin. Männliche Parteigranden wie Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz und Roland Koch applaudieren pflichtschuldig – und können es, wie viele andere, nicht glauben: Eine geschiedene Frau aus Ostdeutschland, die noch nicht einmal 50 Jahre alt und Protestantin ist, führt nun die CDU.

Alles davon ist neu für die Altherrenpartei, man(n) denkt, es müsse sich um einen Betriebsunfall handeln und Merkel werde nur zwei Jahre durchhalten. Sie irren sich. Es wurden 18 Jahre und noch einige Monate dazu. Jetzt geht diese Ära zu Ende.

Der König ist tot

Die CDU und auch Deutschland beginnen bereits, Abschied zu nehmen. Gewiss, Merkel bleibt noch Bundeskanzlerin, und das ist ja auch das wichtigere Amt. Aber es geht selbst nach 18 Jahren rasend schnell: Wer den Abschied ankündigt, ist mit einem Bein schon von der Bühne herunten und auf dem Weg ins Abseits.

Nur ein paar Stunden nachdem Merkel ihren Verzicht auf eine neuerliche Wahl zur CDU-Vorsitzenden angekündigt hat, zeigten schon Nachfolgewillige auf. Nicht einmal einen Tag lang war Innehalten und Erinnern erlaubt. Der König ist tot, es lebe der König. Das gilt auch für die Königin.

Und man weiß ja nicht, wie viel Restlaufzeit noch übrig ist. "Für den Rest der Legislaturperiode bin ich bereit, weiter als Bundeskanzlerin zu arbeiten", hat sie bei ihrer Rückzugsankündigung am Montag erklärt. Doch ob ihr Plan aufgeht, noch bis 2021 deutsche Regierungschefin zu bleiben, ist äußerst fraglich. Möglicherweise muss sie das Kanzleramt, in dem sie seit 2005 sitzt, früher verlassen, als ihr lieb ist.

Erleichterung

Bei unzähligen Menschen löst diese Vorstellung Erleichterung aus. Merkel und ihr Volk hatten zuletzt einen äußerst unbefriedigenden Beziehungsstatus erreicht, der an Ehepaare erinnert, die nur noch aus Gewohnheit zusammen sind. Es dominierten Gereiztheit und Genervtheit, es gab nur noch ein langweiliges Weiter-so ohne neue Impulse, ohne einen Hauch von Aufbruch oder Inspiration.

Dabei war Merkel lange Zeit sehr beliebt und geschätzt. In ihrer zweiten Amtszeit (2009 bis 2013), als sie mit der FDP regierte, waren die Deutschen dankbar, dass sie so gut durch die Finanzkrise kamen. Merkel wurde als unprätentiöse und sparsame schwäbische Hausfrau bewundert und als "Mutti" gefeiert.

"Mutti" sorgte dafür, dass es den meisten Deutschen gutging, die Raute wurde zum Markenzeichen für Stabilität und Verlässlichkeit. Sie war (und ist immer noch) die Frau von nebenan.

Seriöse Handtaschen

Während ihr Vorgänger Gerhard Schröder seinen gesellschaftlichen Aufstieg mit dicken Zigarren, maßgeschneiderten Brioni-Anzügen und dem Genuss edler Rotweine zur Schau stellte, blieb Merkel bodenständig: mit bequemen, fast schon ausgelatschten Schuhen, einer Vorliebe für Kartoffelsuppe plus Rindsrouladen und praktischen Handtaschen der Marke Longchamps, die laut "FAZ" – ja, das ist ein Thema in der seriösen Presse – eine "sichere Option sind" und nicht mehr als 300 Euro kosten.

Legendär sind natürlich ihre Jacketts in allen Farben des Regenbogens. Es gibt sie in Mint, Flieder, Pfirsich, und irgendwann wird sicher jemand eine Dissertation darüber schreiben, welche Aussage Merkel mit welcher Farbe treffen wollte.

In groben Zügen erinnert man sich: Wenn es feierlich wird, trägt sie natürlich schwarz oder dunkelblau. Einmal, ein einziges Mal nur, ließ sie in ihren Ausschnitt blicken und das nicht zu knapp. Das petrolfarbene Kleid, das sie 2008 in der Stockholmer Oper trug, war sehr weit ausgeschnitten, und nicht nur "Die Welt" fragte verstört: "Wie viel Dekolleté darf eine Kanzlerin zeigen?"

Doch auch wenn die Deutschen lange Zeit das Berechenbare an ihr so schätzten, Merkel war auch immer für Überraschungen gut und konnte einen selbst nach vielen Jahren im Amt noch echt verblüffen. 2012 etwa feuerte sie den damaligen Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), weil dieser sich im Landtagswahlkampf von Nordrhein-Westfalen illoyal gezeigt hatte.

Rauswurf mit Grundgesetz

Merkel wollte ihn loswerden, Röttgen aber nicht gehen. Also verkündete die Kanzlerin kurzerhand und äußerst aufgeräumt: "Ich habe dem Bundespräsidenten gemäß Artikel 64 Grundgesetz vorgeschlagen, Norbert Röttgen von seinen Aufgaben zu entbinden." Das politische Berlin war für einen Moment sprachlos. Apropos Sprache. Eine brillante Rednerin ist Merkel nicht. Ihre Wortbeiträge sind wie sie selbst: pragmatisch, preußisch, pflichtbewusst.

Auch ihre Asylpolitik wird noch Stoff historischer Aufarbeitungen sein. Doch bei allem, was schiefgegangen und aus dem Ruder gelaufen ist – für einen Satz, ausgesprochen im September 2015 bei einer Pressekonferenz mit dem früheren österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann in Berlin, zollte man ihr höchsten Respekt.

Es ging um die Frage, ob man den vielen Flüchtlingen wirklich helfen habe müssen. "Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."

Andererseits kann sie auch sehr sarkastisch sein. Legendär ist ihr Befund über den früheren liberalen Koalitionspartner: "Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen." Apropos FDP. Diese ist der Beweis dafür, dass Merkel nicht nur, ohne mit der Wimper zu zucken, innerparteiliche Gegner beseitigen konnte, sondern eine ganze Partei.

FDP als Prüfung Gottes

Sie regierte vier Jahre mit den Liberalen und gönnte ihnen nicht einmal ein kleines Steuerreförmchen. Angekündigt aber hatte die FDP im Wahlkampf allerdings die größte Steuerreform aller Zeiten. Nach vier Jahren an Merkels Seite wurde sie – auch wegen eigener Fehler – so dezimiert, dass sie aus dem Bundestag flog.

Sehr betrübt war Merkel darüber nicht, sie ist ohnehin eine Großkoalitionärin. Also wandte sie sich der SPD zu und trug dazu bei, auch diese zu verkleinern, indem sie ihre Positionen (Mindestlohn, Ehe für alle, Aussetzung der Wehrpflicht, mehr Kindergärten) übernahm.

Manchmal tat sie einem wirklich leid. Im Osten von Neonazis gnadenlos ausgepfiffen zu werden ist grausam. Und diese ewig langen Nachtsitzungen in Brüssel müssen der pure Albtraum sein. Wird ihr/e Nachfolger/in diese Nerven auch haben, fragt man sich etwas bange angesichts der vielen Herausforderungen in der EU. Wird der französische Präsident auch ohne Merkel die Kraft haben, die EU zusammenzuhalten?

Natürlich sind auch Merkels Nachfolgekandidaten – Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn – auf Pro-Europa-Kurs. Aber jene Autorität, die Merkel lange hatte, muss man sich erst einmal erwerben. Das wird seine Zeit dauern.

In Deutschland hingegen bewegt jetzt, da Merkel ihren Rückzug angekündigt hat, viele junge Menschen, die mit Merkel aufgewachsen sind, eine Frage der ganz anderen Art: Ist es eigentlich möglich, dass eines Tages nach Angela Merkel auch ein Mann Bundeskanzler wird? Möglich ist es wohl. Aber es wird ungewohnt sein. (Birgit Baumann, 3.11.2018)