Saxofonist und Komponist John Zorn, der Polystilist: Seine Stücke und Improvisationen sind Exempel des postmodernen Zugangs – auch zum Jazz.

Foto: Scott Irvine

Wer ein Genie des Spontanen ist, pilgert am Samstag nach Sarajevo zum dortigen Jazzfestival. Dort trifft er ihn. Wer dieser Tage in den Niederlanden weilt, kann am 5. und 6. November einen Abstecher zum November Music Festival in 's-Hertogenbosch wagen. Wahrscheinlich wird er John Zorn auch dort treffen. Aber womöglich nicht an beiden Tagen. Ab Sonntag findet jedenfalls auch im Porgy & Bess eine dem Saxofonisten und Komponisten gewidmete (viertägige) Reihe statt. Von hochkarätigen Musikern, mit denen der New Yorker seit langem eng verbunden ist, werden ausschließlich seine Kompositionen aufgeführt, an denen Zorn – als Interpret – eher nicht teilnehmen wird.

Sicher ist, dass Zorn die Reihe im Porgy eröffnet. Er hat auch versprochen, am Sonntag – zum 25. Geburtstag des Clubs – ein Ständchen zu geben. Fassen wir also Zorns Reiseroute zusammen: Er kommt aus Sarajevo nach Wien und ist dann allerdings bald wieder weg. Unterwegs in die Niederlande. Irgendwie ist er dieser Tage also überall ein bisschen, was aber zu seinem Musikstil passt. Davon später.

Der Vielschreiber

Nicht durchgehend anwesend zu sein – auch nicht als Spieler -, untermauert auch Zorns Positionierung als Komponist. Es sind Leute, die ihren Werken nicht beiwohnen müssen. Sie schreiben lieber. Und Zorn ist ein Viel- und Schnellschreiber. Er ersinnt schon mal 300 Bagatellen in drei Monaten. Für jemanden, der bisweilen zehn Stücke in einer Stunde verfasst, ist das zwar nicht viel. Eine Abweichung von Mainstream der schreibenden Zunft ist das jedoch allemal – und der besessene Zugang hat seinen Preis: "Ich habe extreme Opfer gebracht, um praktizieren zu können, was mir künstlerisch vorschwebt. Alles, was meiner Arbeit in die Quere kommt, habe ich aus meinem Leben verbannt", hat Zorn einmal offenbart. "Es ist nicht leicht. Manchmal ist es die Familie, manchmal sind es Freunde. Und bisweilen ist es die Fähigkeit, Beziehungen zu pflegen ..." Die Folge der rigorosen Konzentration auf das Komponieren und Konzipieren haben Zorn letztlich zur Zentralfigur der wohl bis dato letzten Erneuerung des Jazz gemacht. Genau deshalb wohl, da sich Zorn nicht primär als Jazzer verstand.

John Zorn live 2010.
brainphreak

Er forcierte – einst in der Band Naked City am Saxofon hochenergetisch aktiv – eine dynamische Umarmung sehr vieler Stile. Als ginge es darum, für einen irrwitzigen Trickfilm Soundtracks umzusetzen, zelebrierte Zorn abrupt die Richtungen wechselnde Collagen. Pointen aus Bop, Hardcore und Speedmetal platzten ebenso herein wie freitonale Exzesse, Westernmusik und sonstiges aus der Steckdose der Musikgeschichte Kommendes.

Festung als Symbol

Es war Stilglobalismus, hinter dem sich, wie klar wurde, auch Identitätssuche verbarg. Mittlerweile hat Zorn durch das Bekenntnis zu seinen jüdischen Wurzeln auch jenes Selbstverständnis gefunden, von dem aus er künstlerisch tätig wird. Als Leitfigur der New Yorker Downtown-Szene (auch im New Yorker Stone-Club) bildete Zorn dabei u. a. die Formation Massada, benannt nach einer Festung am Toten Meer: Als die Verteidiger dort die Aussichtslosigkeit ihrer Lage im Kampf gegen die Römer erkannten, begingen sie kollektiv Suizid. Unter diesem Symbol des Widerstands stehen auch die Porgy-Tage. Der Vertreter der New Jewish Music präsentiert den dritten Teil seines Kompositionszyklus Massada. Er trägt den Titel The Book Beriah.

Zorn (Jahrgang 1953) über seine Stücke allgemein: "Bei Musik geht es für mich um Leute, nicht um Sounds. Es geht darum, Leute in herausfordernde Situationen zu stellen. Für mich sind Herausforderungen Chancen." Auch wenn er, eine Art Jukebox der Avantgarde, nicht immer dabei ist. (Ljubisa Tosic, 3.11.2018)