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Elf Tote forderte der Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge vergangene Woche. Noch Tage danach legten Menschen Blumen nieder.

Foto: Getty Images / AFP / Jeff Swensen

An der Synagoge Tree of Life, mitten im Stadtviertel Squirrel Hill, dem Zentrum jüdischen Lebens in Pittsburgh, liegen Blumensträuße. Viele Hundert Sträuße sind es, pro Minute kommen zwei, drei neue hinzu. Es ist der Abend nach Halloween, und wie an jedem Abend dieser Woche steht eine schweigende Traube von Menschen vor den elf weißen Davidsternen mit den Namen der Ermordeten.

Auf dem Gehsteig gegenüber haben John Cihon, Aaron Jackendoff und Louis Snyder Zeltbahnen aufgespannt, zum Schutz gegen den Regen, bereit, jedem zuzuhören, der einfach nur reden will über das, was ihn bewegt. Abend für Abend kommen die drei an die Wilkins Avenue, setzen sich auf Klappstühle und stellen Cookies, Brot und Kichererbsenpaste auf einen Tisch, weil sie der Meinung sind, dass Essen zum Trauern dazugehört.

Für politische Debatten, sagt Snyder, ein Maler, sei es viel zu früh. Man habe doch gerade erst angefangen, das Geschehene zu verarbeiten, man möge ihm jetzt nicht mit Donald Trump kommen. Natürlich müsse sie irgendwann beantwortet werden, die Frage, ob der Präsident ein Klima schuf, in dem sich der Täter ermuntert fühlte. "Aber nicht hier und nicht jetzt." Cihon, auch er ein Künstler, will überhaupt nichts davon wissen. In der Synagoge habe ein Durchgeknallter um sich geballert. "Ich sehe nicht, was das mit Trump zu tun haben soll."

Robert Reich jedoch, einst Arbeitsminister im Kabinett Bill Clintons, heute Politikprofessor im kalifornischen Berkeley, sieht durchaus einen Zusammenhang mit der Rhetorik des US-Präsidenten. "Demagogen begehen selbst nur höchst selten Gewalttaten", sagt Reich. "Sie schüren den Hass, machen andere lächerlich, erklären andere für schuldig, doch die Gewalt überlassen sie Dritten." So könnten sie hinterher immer erklären, sie seien es nicht gewesen.

Keine Reue

Bowers, ein Lastwagenfahrer, ist offenbar ein unbelehrbarer Neonazi. In Trump sieht er, so hat er es in sozialen Medien verbreitet, eine Marionette der Juden. Bowers hasst Juden, und ein kurzer Auftritt am Donnerstag im Saal 8A des Joseph-Weis-Gerichtsgebäudes im Zentrum Pittsburghs macht deutlich, dass er keinerlei Reue empfindet. "Ja", antwortet er laut und trotzig, als ihn der Staatsanwalt fragt, ob er die Anklagepunkte verstehe.

Nur: Der Auslöser für den elffachen Mord war eben eine sehr konkrete Wut, die Wut auf das HIAS-Netzwerk, das heutzutage vor allem Flüchtlingen aus Nepal, Bhutan und dem Irak hilft, sich in Pittsburgh zurechtzufinden. Der Mörder, so der HIAS-Direktor Mark Hetfield, würde seinen Hass gegen mehrere Gruppen richten, spüre Hass auf Juden, Hass auf Flüchtlinge, Hass auf Migranten. Insofern, findet auch Hetfield, habe Trumps Rhetorik sehr wohl mit dem Massaker zu tun.

Das Jewish Community Center in Squirrel Hill wird jetzt von Polizisten bewacht – ob nur vorübergehend oder auf Dauer, weiß keiner. "Kippt da gerade etwas?", spitzt Ron Symons, der Rabbiner des Gemeindezentrums, die Frage zu, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und sucht behutsam nach Worten. Schusswaffenangriffe auf Gotteshäuser, auf Kirchen, Moscheen, einen Sikh-Tempel, das habe es in Amerika schon gegeben, sagt er schließlich. Nun also eine Synagoge, im Grunde nichts Neues.

Und Trump? "Ich will meine Energie nicht verschwenden, indem ich über den Präsidenten rede", wehrt Symons zunächst ab, um dann doch Klartext zu reden. Das Gift des politischen Diskurses müsse klar beim Namen genannt werden, mahnt er. Denn manche nähmen die gehässigen Worte als Freibrief, "um Außenstehenden alles anzutun, was sie ihnen gerade antun wollen". Und wann immer eine Gruppe von Menschen ausgegrenzt werde, sei das für Juden nicht gut.

Beredtes Schweigen

Noch prägnanter hat es Jeffrey Herf formuliert, Historiker an der University of Maryland. Wer Verschwörungstheorien verbreite, gieße Wasser auf die Mühlen des Antisemitismus. Schließlich sei die älteste aller Verschwörungstheorien jene über die Juden, die angeblich die Welt kontrollierten.

Als Trump nach dem Attentat nach Pittsburgh flog, hat Jeffrey Myers, der Rabbiner der Tree-of-Life-Synagoge, Demonstranten entgegnet, der Präsident der Vereinigten Staaten sei jederzeit willkommen. Ron Symons ist aufgefallen, wie wenig Myers sonst sagte, wenn er nach Donald Trump gefragt wurde. Einmal, erzählt er, habe der Kollege seine Mutter zitiert: "Wenn du nichts Nettes zu sagen hast über eine Person, dann sag lieber nichts." (Frank Herrmann aus Pittsburgh, 2.11.2018)