SPD-Vorsitzende Andrea Nahles geht in die Offensive, SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel will die Partei wieder attraktiver machen.

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München/Berlin – Die drei Parteien der kriselnden großen Koalition in Deutschland stehen vor wegweisenden Entscheidungen. Die SPD sucht Wege für einen Neustart, bei der CDU zeichnet sich im Wettkampf um die Nachfolge von Angela Merkel an der Spitze der Partei zunehmend ein Richtungsstreit ab. Bei der CSU wird die Debatte über eine Ablösung von Parteichef Horst Seehofer angefacht.

Die intern stark unter Druck stehende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, ging gegen ihre Kritiker in die Offensive. In der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag) forderte sie mehr Ehrlichkeit und Offenheit. Sie führe die Partei mit all ihrer "Kraft, Leidenschaft und Zuversicht", sagte Nahles, "wenn jemand meint, es schneller oder besser zu können, soll er sich melden". Seit den massiven Stimmenverlusten der SPD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen wurden Rufe in der Partei nach einem Ausstieg aus der großen Koalition wieder lauter.

Nahles hat "keine Zeit zu verlieren"

Nahles will bei der Klausurtagung der SPD-Spitze am Sonntag und Montag in Berlin den Vorstoß abwehren, den für Ende 2019 geplanten Parteitag samt Wahlen vorzuziehen – und damit früher als geplant über die Zukunft der Koalition zu entscheiden. Unter anderem Juso-Chef Kevin Kühnert hatte für ein Vorziehen plädiert. "Angesichts des fragilen Zustands der Koalition haben wir keine Zeit zu verlieren, um unsere Programmatik gemeinsam mit den 600 Delegierten auf den aktuellen Stand zu bringen", begründete Kühnert in der "Rheinischen Post" (Samstag) seinen erneuten Vorstoß.

Die SPD-Chefin will am bisherigen Fahrplan festhalten. Nahles sagte, sie wolle, dass die Partei in strittigen Fragen Klarheit finde. "Wir brauchen die Zeit bis ins nächste Jahr, wenn wir es richtig machen wollen. Jetzt kopflos alles umzuwerfen, ist Blödsinn."

Arbeitsminister Hubertus Heil macht für die jüngsten Wahlniederlagen der SPD das Erscheinungsbild seiner Partei verantwortlich: "Eine Partei, die nur um sich selbst kreist, darf sich über mangelnden Zuspruch nicht wundern", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die SPD müsse "Orientierung und Zuversicht" vermitteln und entschlossener auftreten. Er meine aber keine einzelne Person, "sondern die Körpersprache der ganzen Partei".

CDU: Klausurtagung am Montag

Bei der CDU kommt der Kampf um die Merkel-Nachfolge zunehmend in Schwung. Merkel hatte unter dem Druck schwerer Stimmenverluste der Union in Bayern und Hessen angekündigt, auf dem Parteitag im Dezember nicht erneut als Vorsitzende anzutreten – nach 18 Jahren im Amt. Sie will aber bis zum Ende der Legislatur 2021 Kanzlerin bleiben.

Die CDU-Spitze will bei ihrer Klausurtagung am Sonntag und Montag den Parteitag vorbereiten. Kandidaten für den Parteivorsitz sind Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Gesundheitsminister Jens Spahn und der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der ebenso wie Spahn dem konservativem Lager zugerechnet wird.

Am "Kurs der Mitte" bleiben

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und Bundesvize Armin Laschet warnte seine Partei vor einem Rechtsruck unter einer neuen Führung. Laschet sagte der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag), er wolle sich dafür einsetzen, dass die Christdemokraten den "Kurs der Mitte" nicht verlassen. Zugleich kritisierte er Spahn für dessen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik. Spahn hatte gesagt der Flüchtlingszuzug sei weiterhin ein gravierendes Problem für Deutschland.

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) fuhr Spahn in die Parade: "Migration ist nicht das wichtigste Thema", sondern nur eines von mehreren, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Samstag): "Es darf keinen Bruch geben mit dem Kurs der Mitte der letzten Jahre."

Gabriels Spekulation um Merkels Rücktritt

Der Ausgang der Wahl zum CDU-Vorsitz könnte gravierende Folgen für die Zukunft der Koalition haben. Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte der dpa am Rande eines Besuchs in Martinsburg im US-Staat West Virginia: "Ich glaube, jeder Vorsitzende der CDU hat im Kern den Anspruch, der nächste Kanzler zu werden."

Gabriel spekulierte, dass Merkel bereits nach der Europawahl im kommenden Mai auch das Amt der Regierungschefin aufgeben könnte. Er geht davon aus, dass die große Koalition dann vermutlich am Ende wäre. "Die Sozialdemokratie ist aufgrund der Wahlergebnisse tief verunsichert, ob sie in dieser Koalition bleiben soll. Und ich glaube, es wäre außerordentlich schwierig, die SPD zu überzeugen, noch einmal im deutschen Parlament einen CDU-Kanzler zu wählen."

Nahles sagte der "Süddeutschen Zeitung" mit Blick auf den Kampf um die Merkel-Nachfolge in der CDU: "Wir wären naiv, wenn wir uns nicht auf alle Szenarien vorbereiten würden." Für die SPD sei entscheidend, ob die Union ihren Richtungsstreit durch eine neue Person an der Spitze der CDU in den Griff bekomme. "Wenn der Streit aber bleibt, ist die Regierung nichts wert."

Söder liebäugelt mit Parteivorsitz

Bei der CSU hat nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag) der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nach langem Zögern inzwischen zu erkennen gegeben, dass er bereit wäre, den Parteivorsitz zu übernehmen. CSU-Chef Horst Seehofer steht innerparteilich unter Druck. In der CSU wird eine Entscheidung rasch nach der Regierungsbildung in Bayern erwartet.

Der frühere CSU-Landesgruppenchef und Verkehrsminister Peter Ramsauer sprach sich für Söder als nächsten CSU-Vorsitzenden aus. "Wenn der Parteivorsitz – wann auch immer – frei wird, ist Söders Zugriff ein Muss", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die CSU hatte sich am Freitag mit den Freien Wählern auf die Bildung einer Koalition geeinigt. Am Sonntag sollen die Parteigremien über Ergebnisse und Ressortaufteilung beraten und die Koalition billigen.

SPD-Vize Schäfer-Gümbel kritisiert Partei

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel hat indes seine Partei aufgefordert, klar Position zu beziehen, um wieder attraktiver für die Wähler zu werden. "64 Prozent der Menschen im Land sagen, sie wüssten nicht mehr, wofür die SPD noch steht", sagte Schäfer-Gümbel dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. "Wir haben ja tatsächlich in vielem keine erkennbare Position."

Auch wenn viele Menschen "nicht mehr wissen, was die SPD will", habe die Partei dennoch ein großes Wählerpotenzial. "80 Prozent wären grundsätzlich bereit, die Sozialdemokratie zu wählen. Sie brauchen nur mal einen guten Grund, und den gibt es eben nicht wirklich", sagte Schäfer-Gümbel.

Der SPD-Vize forderte eine Erbschaftssteuerreform, um Bildung zu bezahlen und eine Vermögensteuer, um die Pflege finanzieren. Damit könne verhindert werden, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter öffne und die Ungleichverteilung von Vermögen immer krasser werde. (APA/AFP/Reuter, 3.11.2018)