Kunst-Praterstrizzi Voodoo Jürgens belebt die morbiden Klassiker des Liedermachers Ludwig Hirsch wieder – auch wenn er sich damit ein bisschen überhebt.

Foto: Heribert Corn

Wien Eines ist klar: In puncto Zielgruppenerweiterung hat sich diese Melange voll ausgezahlt. Wenn junge Erwachsene mit Voodoo-Frisuren (Vokuhila, blind geschnitten) Seite an Seite mit ergrauten Seniorenheimanwärtern ins Wiener Konzerthaus gehen, hat das Management alles richtig gemacht. Im bis auf den letzten Sitz gefüllten Mozartsaal herrscht an diesem Allerseelenabend familiäre Stimmung. Mama mit Tochter, Papa mit Schwiegersohn, Opa und Oma sowieso.

Geladen hat Voodoo Jürgens. Vor drei Jahren hat der Kunstpraterstrizzi der Stunde eine alte Tradition des Austropop wiederbelebt und die Toten ausgegraben. Mit seiner leiwanden Begleitband Ansa Panier und Liedern über Trangler, Bauchstichbeisln oder das schwere Leben leichter Mädchen sorgt er seither dafür, dass die Generation Danzer zur Generation_Wanda einen musikalischen Draht finden kann und sich ein gewisser altwienerischer Gossenjargon ins dritte Jahrtausend hinüberrettet. Kulturgutschutz nennt man das.

Allerseelenverwandtschaft

Es ist also nur konsequent gedacht, dass sich früher oder später das Neue mit dem Alten auch auf der Bühne verbinden würde. Im Falle Voodoos wollte man eine Seelen-, pardon, Allerseelenverwandtschaft zum 2011 verstorbenen Liedermacher Ludwig Hirsch erkennen. Vom Musikalischen her gesehen mag das verwundern: Voodoo Jürgens’ quengelnder Sprechgesang, der gut auch von Schauspieler Georg Friedrich stammen könnte, steht mit der tiefenentspannten Dokumentarfilmsprecherstimme Hirschs, die dieser auch Hörbüchern lieh, nicht unbedingt in Einklang.

Voodoo Jürgens singt Ludwig Hirsch.
ORF

Auf inhaltlicher Ebene gibt es aber Parallelen, die nicht von der Hand zu weisen sind: Hirsch, der sich selbst gern einen Geschichtenerzähler nannte, hat in Voodoo Jürgens zumindest einen "Gschichtldrucker" als Nachkommen. Bei beiden tritt das gesangliche Element zugunsten eines Selbstverständnisses als Märchenonkel in den Hintergrund. Oft münden diese Erzählungen in schwarzhumorige Pointen, in denen die Tragik zur Komik wird.

Ein Glanzstück dieser Sorte ist das Hirsch-Lied I lieg am Ruckn über dinierende Würmer, die dem Entschlafenen ganz langsam ins Hirn "einigreun". Damit eröffnet Voodoo Jürgens seine Konzerthommage an Hirsch, die er auch als Hommage an dessen vor 40 Jahren erschienene Platte Dunkelgraue Lieder verstanden haben will. Darauf folgend gibt er das Eigenwerk Nochborskinder über väterliche "Hausdätschn" und "Gnackwatschn".

Heuriger statt Melancholie

Diese Abfolge macht die thematische Verwandtschaft der beiden Künstler deutlich, zeigt aber auch schon das Problem ganz offen: Ludwig Hirschs beste Lieder leben von Kunstpausen, von präzise gesetzten Effekten und dem variantenreichen Einsatz seiner am Theater geschulten Stimme. Nicht ohne Grund bestritt Hirsch die Mehrzahl seiner Konzerte lieber mit reduzierter Gitarrenbegleitung. Bei Voodoo und seiner Ansa Panier fehlt die Geduld dafür. Statt Melancholie macht sich Heurigenseligkeit breit. Hirschs Pointen gehen im Versuch, den Liedern eine beschwingtere Neuinterpretation zu geben, allzu oft unter. Die vermeintlich einfachen Lieder Geburtstagsgeschenk, Die Gelse und Spuck den Schnuller aus leiden darunter.

Bei Häng net auf gelingt es Voodoo nicht, die Verzweiflung eines von der Frau verlassenen Mannes, der kurz vor dem Selbstmord noch einmal zum Telefon greift, rüberzubringen. Das liegt auch an zu viel unbegründeter Nervosität. Denn dass es ginge, zeigt Voodoo gerade bei ausgeruhten Nummern, bei denen er selbst zur Klampfe greift: I habs wollen wissen oder Der Wolf.

Da Voodoos eigener Song Gitti unmittelbar mit Hirschs Herbert zusammenhängt, hätte sich als Kniff angeboten, die Lieder ineinander überfließen zu lassen – doch dafür fehlte wohl der Mut. Gitti kommt dann nach 16 Stücken zwar noch als Zugabe, die Bezüge zum Herbert hat da aber schon wieder jeder vergessen. An Hirschs Lebenswerk Komm großer schwarzer Vogel wagen sich Voodoo und seine Band übrigens nicht heran. Falls das die Generation Youtube zum Hineinhören ins Original animieren sollte, ist aber viel gewonnen. (Stefan Weiss, 4.11.2018)