Hans Schöpflin (rechts) gibt den Titus im Landestheater Linz.

Sakher Almonem

Linz – Am Landestheater Linz sieht man "die Welt aus den Fugen" – so das Motto dieser Spielzeit. In Zeiten, in denen immer mehr Staatslenker als Spaltpilze und Aggressoren agieren, wird im oberösterreichischen Großreich der Künste das Gegenmodell vorgeführt: Titus, der römische Kaiser, der jeden um ihn herum begnadigt, der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Mehr Milde geht nicht.

Um Mozarts letzte Oper La clemenza di Tito wurden nach einer kurzen Beliebtheitsblüte Anfang des 19. Jahrhunderts ja eher große Bögen gemacht. Aus Gründen: Das Publikum fiel meist nach wenigen Arien in eine tiefe Dur-Trance, aus der es erst zum kleinen Finale wieder erwachte. Das ist in Linz aus zweierlei Gründen nicht möglich: Zum einen zeigt man hier, erstmals in Österreich, die 2002 in Amsterdam uraufgeführte Fassung, in der die wahrscheinlich von Mozart-Schüler Franz Xaver Süßmayr verfassten, harmlosen Rezitative durch reibungsfreudiges Tonmaterial von Manfred Trojahn ersetzt wurden. Die laut Trojahn "an Strauss, Berg und Henze geschulten" Musikstrecken sind zwar nicht durchgängig schlüssig, originell und packend, aber doch ab und zu.

Selbstgefälliger Unsympathler

Zum anderen gibt Hans Schöpflin einen Titus, wie man ihn selten zu sehen bekommt: Sein Vergebungskaiser ist ein selbstgefälliger, testosteronpraller Unsympathler aus der Managementebene – so einer, den man im Restaurant ungern am Nebentisch sitzen haben möchte. Ein neuer Zugang. Gesanglich forcierte Schöpflin ebenfalls den heldischen Aggressor – gezwungenermaßen, ist doch die lyrische Höhe seine Sache nicht.

Wie gut, dass auch die Damen nicht ausließen: Brigitte Geller war eine Vitellia mit Glamourappeal und gab der fiesen Intrigantin auch gesanglich Profil. Sinnlich, kraftvoll und voluminös der Mezzo von Jessica Eccleston als zwischen Kaiserfreund und der Femme fatale Vitellia zerrissener Sesto, darstellerisch wäre da allerdings Luft nach oben. Toll auch Florence Losseau mit ihrem fokussierten und nuancierten Mezzo (als Annio), solide Theresa Grabner als Sestos Schwester Servilia.

Wie die Solisten switchte auch Martin Braun, gestisch ein Philippe Jordan der Stahlstadt, an der Spitze des Bruckner Orchesters recht souverän zwischen den zwei musikalischen Welten hin und her; die Mozart-Deutung schien von Harnoncourt'schen Gegensätzlichkeiten inspiriert. Innig swingend der Chor des Landestheaters, speziell im zweiten Akt.

Und die Szene? Karine Van Hercke (Ausstattung) mischte die Zeiten des alten Rom, des Rokoko und der Gegenwart recht bekömmlich, nur das Schlafzimmer des Kaisers im kackbraunen 1980er-Jahre-Bankdirektorenbarock stieß etwas auf. Regisseur François de Carpentries' Fokussierung auf Berenice, die auf Geheiß des Senats eigentlich vor Werkbeginn verstoßene Geliebte von Titus, wirkte etwas aufgesetzt. Relativ mauer Premierenapplaus. (Stefan Ender, 5.11.2018)