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Theresa May schöpft neue Hoffnung.

Foto: REUTERS/Toby Melville/File Photo

Ebnet die Kompromissbereitschaft doch noch den Weg zu einer Lösung? Nach wochenlangen Warnungen vor einem ungeregelten Brexit will Premierministerin Theresa May offenbar diese Woche ihre Regierung auf einen Deal festlegen. Erhält sie das Einverständnis des Kabinetts für den rund 50-seitigen, mit Brüssel besprochenen Plan, könnten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU auf einem Sondergipfel in zwei Wochen diesem zustimmen.

Den "geheimen Brexit-Deal" skizzierte die gewöhnlich gut informierte "Sunday Times": Ein Sprecher der Downing Street reagierte darauf ganz ähnlich wie vergangene Woche auf einen Artikel der "Times", in dem von einer Vereinbarung für die 77 Milliarden Euro schwere Finanzbranche die Rede war: "Reine Spekulation."

Der "Sunday Times" zufolge hat May ihre bekannte Idee ausgebaut, mit der Kontrollen an der nordirisch-irischen Grenze vermieden werden sollen: Das gesamte Königreich würde bis auf weiteres in der Zollunion verbleiben, Nordirland erhielte privilegierten Zugang zum Binnenmarkt. Für Letzteres sind Kontrollen zwischen der irischen und der britischen Insel nötig. Sie sollen aber – so weit das Entgegenkommen der EU – von Briten vor Ort vollzogen werden statt in englischen, walisischen und schottischen Häfen. Damit wäre der Eindruck vermieden, Brüssel wolle Nordirland vom Rest des Landes abkoppeln.

Um die Brexit-Ultras in den eigenen Reihen zu beschwichtigen, wünscht sich May zudem eine zeitliche Begrenzung. Diese könnte nach Abschluss eines Freihandelsvertrags erfolgen. Offen bleibt, wie dann der Status Nordirlands geregelt sein soll. Charles Grant vom Thinktank CER reagierte skeptisch: "Die EU braucht immer noch eine Auffanglösung für Nordirland."

Kabinettssitzung am Dienstag

Bei der Kabinettssitzung am Dienstag geht es um den Brexit. Angeblich will dort eine Gruppe von Ministern, darunter die Chefs für Inneres (Sajid Javid) und Äußeres (Jeremy Hunt), die genauen Details der geplanten Vereinbarung abfragen und ausdrücklich auch jene juristische Einschätzung einsehen, die routinemäßig für die Regierung erstellt wird. Offenbar erwarten sich die Rebellen Schützenhilfe von Geoffrey Cox, dem Generalstaatsanwalt im Kabinettsrang: Beim Referendum hatte dieser für den Brexit gestimmt.

Der frühere Brexit-Minister David Davis forderte sogar die Veröffentlichung der normalerweise vertraulichen Rechtsexpertise. May-Loyalisten wie Finanzminister Philip Hammond und Wirtschaftsminister Greg Clark betonen hingegen stets die politische Dimension der Entscheidung: Keinesfalls dürfe die konservative Regierung den Brexit ohne Austrittsvereinbarung oder Neuwahlen riskieren, die den weit links stehenden Labour-Chef Jeremy Corbyn in die Downing Street 10 befördern könnten. In den Umfragen liegt Labour durchgängig einige Prozentpunkte hinter den Torys.

Der Verbleib in "einer" Zollunion mit der EU ohne zeitliche Begrenzung gehört zu den Forderungen der Labour-Opposition. Die Parteispitze um Corbyn dürfte der Fraktion eine Ablehnung des May-Plans vorschreiben, weil sie Neuwahlen erzwingen will.

Allerdings gibt es mehrere Dutzend Labour-Abgeordnete, denen die Vermeidung eines ungeregelten Brexits wichtiger ist als der Fraktionszwang. Nicht ganz zu Unrecht können sie darauf verweisen, dass Corbyn in seinen drei Jahrzehnten als Hinterbänkler hundertfach gegen die Fraktionslinie verstoßen und seinem Gewissen gemäß abgestimmt hat.

In einem offenen Brief sprachen sich am Wochenende mehr als 70 prominente Wirtschaftskapitäne für ein zweites Referendum aus – so wie Ex-Premier Tony Blair. Die Regierung lehnt das aber seit Wochen kategorisch ab. (Sebastian Borger aus London, 4.11.2018)