In der Presseaussendung, in der die Polizei am 9. September über den Fall von Anna-Sophie B. (Name geändert, Anm.) berichtete, scheint die Sachlage klar. Die 27-Jährige soll als Teil einer größeren Menschenmenge am Lerchenfelder Gürtel in der Nacht auf den 8. September den Ablauf einer "ersten allgemeinen Hilfeleistung", wie es Amtsdeutsch heißt, gestört haben.

Der Aufforderung, sich zu entfernen, seien die meisten Schaulustigen nachgekommen, heißt es weiter, nur B. und ihr Begleiter seien stehengeblieben. Die Folge: eine Anzeige nach einer am 15. August eingeführten Bestimmung des Sicherheitspolizeigesetzes, die von Regierung und Exekutive als notwendiger "Antigafferparagraf" begründet worden ist.

Damit nicht genug: Die bisher unbescholtene Angestellte soll sich geweigert haben, sich dem Uniformierten gegenüber auszuweisen. Als schließlich die Festnahme ausgesprochen wurde, habe B. eine Beamtin an der Hand verletzt, weshalb sie mit einer Anklage wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt vor Richterin Elisabeth Reich sitzt.

"Unklaren Polizeieinsatz beobachtet"

Letztere ist überrascht vom regen Besucherinteresse. Nicht minder überrascht scheint Reich vom Auftreten der Verteidigerin Alexia Stuefer, die in ihrem Plädoyer zunächst die Staatsanwältin kritisiert, die trotz des Publikumsandrangs ihre Anklage nicht vorgetragen hat, sondern – wie im Einzelrichterverfahren üblich- lediglich auf ihre schriftlichen Ausführungen verwiesen hat.

Anschließend prangert Stuefer den Paragrafen an sich wortgewaltig an, wiewohl sie ihm eine falsche Nummer gibt. B. sei eine "Zivilcouragierte", die einen unklaren Polizeieinsatz beobachtet, aber sicher nicht gestört habe. "Im Jahr 2018 ist es schon so weit, dass es Personen verboten ist, sich irgendwo im öffentlichen Raum aufzuhalten!", kritisiert die Verteidigerin.

Polizistin forderte sie auf zu gehen

B. selbst bekennt sich nicht schuldig, kündigt aber an, keine Fragen zu beantworten, sondern lediglich eine zusammenhängende Erklärung abzugeben. Ihre Version: Sie sei mit einem Bekannten auf der beliebten Ausgehmeile gewesen, als sie zwei Dunkelhäutige bemerkte, die von Polizistinnen an einer Wand fixiert wurden. Einer der Männer habe "I have rights!" und "Help!" gerufen, der andere geblutet.

"Ich hatte den Verdacht des Racial Profiling", erklärt B., warum sie die Szene näher beobachten wollte. "Ich finde es wichtig, Menschen mit der Polizei nicht allein zu lassen." Eine der Polizistinnen habe sie mehrmals aufgefordert zu gehen, sie wollte eine Begründung dafür.

Die bekam sie nach ihrer Darstellung nicht, dafür wurde ihr Ausweis verlangt. Da sie keinen vorwies, habe die Beamtin schließlich ihren Rucksack gepackt, um dort nach einem Dokument zu suchen, bei dem Gezerre um das Gepäckstück müsse sich die Polizistin selbst verletzt haben, mutmaßt die Angeklagte. Die Verletzung besteht übrigens aus einer Hautabschürfung an einem Finger.

Fahrrad im Rücken

Tanja V. war damals ihre Kontrahentin, die nun als Zeugin aussagt. Die großgewachsene Beamtin erinnert sich, dass Passanten sie und ihre Streifenkollegin auf einen blutenden Mann aufmerksam gemacht hätten. Sie bemerkten zwei Streitende, von denen einer eine Wunde an der Hand hatte. "Wir wussten ja nicht, was vorgefallen war, daher haben wir die Männer erst einmal getrennt. Es hätte davor ja auch ein Messerangriff gewesen sein können", argumentiert sie.

Von vielen Schaulustigen spricht sie aber nicht. Wie sich ex post herausstellte, stammte die Verletzung von einem selbstverschuldeten Sturz, es war also gar kein Fall für die Polizei.

Als sie vom Beamtshandelten wissen wollte, was los war, habe sie etwas im Rücken gespürt – das Fahrrad der Angeklagten. "Ich habe sie gebeten, ein wenig wegzugehen. Da ging es ja auch um Eigensicherung. Ich stand zwischen dem Mann, den ich nicht verstand, und der Dame. Ihre einzige Reaktion war immer nur die Frage: 'Warum?'" Zwanzig Minuten sei das auf engem Raum so gegangen, schließlich habe sie die "Gafferanzeige" ausgesprochen.

"Die Dame hat sich dann geweigert, sich auszuweisen. Um sie nicht mitnehmen zu müssen, wollte ich schauen, ob sie einen Ausweis im Rucksack hat. Ich habe hingegriffen, da hat sie mir die Hand weggeschlagen und mich dabei verletzt. Dann habe ich die Festnahme ausgesprochen." Die Polizistin sagt aber selbst, sie glaube nicht, dass B. sie absichtlich habe verletzen wollen. "Sie war friedlich."

Für weitere Zeugen vertagt Reich auf den 15. November. (Michael Möseneder, 5.11.2018)