Ein kleiner Satellit bewegt sich auf einer Erdumlaufbahn. Ein sternförmiges Netz fliegt ihm entgegen, fängt ihn und zieht sich rasch um ihn herum zu: Im vergangenen September wurde das RemoveDebris-System, das der Beseitigung von Weltraum dienen könnte, erstmals im Orbit getestet. Der Satellit von der Größe eines Schuhkartons diente im Versuch als Weltraumschrott – bei einem realen Einsatz wäre das eingefangene Gerät von einem größeren Satelliten mithilfe einer Leine aus dem Orbit gezogen worden. Es war einer von mehreren Tests, um das zunehmende Problem Weltraummüll in den Griff zu bekommen.

Surrey Nanosats SSC Mission Delivery Team

Abgebrannte Raketenoberstufen, ausgediente Satelliten, Trümmer und bei Außeneinsätzen verlorenes Werkzeug – rund 166 Millionen Schrottteile unterschiedlicher Größe kreisen nach Angaben der Europäischen Raumfahrtagentur Esa um die Erde. "Bereits ein ein Zentimeter großes Stück Weltraummüll kann durch seine Schlagkraft einen Satelliten komplett zerstören", sagt EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska. Schon heute überwachen die USA rund 21.000 Fragmente mit einem Durchmesser von mindestens zehn Zentimetern. Auch die Europäische Union plant einen Ausbau der Weltraumüberwachungssysteme – unter anderem, um seine Galileo- und Copernicus-Satelliten vor Kollisionen zu schützen.

Seit dem Start von Sputnik 1 im Oktober 1957 wurden an die 7.500 Satelliten ins All gebracht. Die Trümmer vieler altgedienter Geräte schwirren im Orbit.
Illustration: Esa/ID&Sense/ONiRiXEL

Paradigmenwechsel in der Raumfahrt

Jahrzehntelang haben die Raumfahrtnationen Raketen, Sonden und Satelliten ins All geschossen, ohne sich Gedanken um die Überbleibsel zu machen. Das ändert sich nun grundlegend. "Die Diskussion über die Entsorgung hat Fahrt aufgenommen", sagt der Esa-Experte Helmut Krag. "Man muss sich darauf einstellen, dass es künftig einen regulativen Zwang geben wird, Müll im Weltraum zu beseitigen." Wie das funktionieren könnte, will die von der EU geförderte Mission RemoveDebris unter Leitung der britischen Universität Surrey demonstrieren.

Im Sommer startete dafür der Forschungssatellit von der Internationalen Raumstation ISS ins Weltall, der – inspiriert vom Fischfang – mit Netz und Harpune Objekte einfangen soll. Sechs Jahre haben die Airbus-Experten das Netz im Labor und bei Flügen in Schwerelosigkeit getestet. "Das Netz ist einem Spinnennetz nachempfunden", sagt Raumfahrtingenieur Robert Axthelm. Dessen feine künstliche Fasern sind stabiler als Stahl.

Netze und Harpunen

Dass das Netz im Prinzip funktioniert, hat der Test im All jüngst bewiesen. Doch danach ist es samt Beute einfach in die unendliche Weite davon getrudelt. Bei einer echten Mission würde die Raumsonde den eingefangenen Schrott über eine Leine einholen und zusammen mit ihm später in der Erdatmosphäre verglühen. Der Auswurf der Leine wurde ebenfalls simuliert. Anfang nächsten Jahres soll die von Airbus konstruierte Harpune zum Einsatz kommen. Diese ist zielgenauer als das Netz, eignet sich nach Angaben von Projektleiter Ingo Retat aber nicht so gut für rotierende Objekte oder welche mit Tank – aufgrund der Explosionsgefahr.

Etwa zwei bis drei Mal pro Jahr müssen Satelliten Ausweichmanöver fliegen, um nicht von Müll getroffen zu werden. Auch die ISS musste deshalb schon mehrmals ihre Bahn geringfügig ändern. "Die Gefahr durch Weltraumschrott ist zurzeit noch nicht sehr groß", sagt Manuel Metz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Das kann sich in Zukunft aber ändern, auch durch die Kommerzialisierung der Raumfahrt." So will allein das Unternehmen OneWeb hunderte Satelliten ins All bringen, um schnelles Internet rund um die Erde anzubieten. Andere Firmen planen ähnliche Projekte.

UOSTV

Abbremsung durch Plasmastrahlen

Die Entwicklung von Technologien, um den Schrott zu beseitigen, steht dagegen noch am Anfang. Es sei das erste Mal, dass ein Fangnetz und eine Harpune dafür im All getestet werden, sagt Metz. Doch dabei wird es seiner Ansicht nicht bleiben. Abhängig von der Art des Objekts werden in Zukunft auch Roboterarme oder Laser bei der Müllabfuhr helfen. "Das Hauptziel werden große Objekte sein, und es müssten immer mehrere auf einmal entfernt werden, weil es sonst zu teuer wird", prognostiziert Metz.

Japanische und australische Wissenschafter arbeiten an einer Methode, um Weltraumschrott mit Hilfe eines Plasmastrahls abzubremsen, damit dieser schneller in die Erdatmosphäre eintritt, wo er verglüht. Das Problem dabei: Wenn ein Satellit einen Plasmastrahl ausstößt, wird er in die entgegengesetzte Richtung weggedrückt. Er bräuchte also einen zweiten Antrieb, der ihn auf Kurs hält. Forschern um Kazunori Takahashi von der Tohoku Universität ist es jetzt gelungen, ein System zu entwickeln, das zwei entgegengesetzte Plasmastrahlen ausstößt und so den Satelliten steuert. "Unsere Entdeckung wird einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit im Weltraum leisten", ist sich Takahashi sicher. Wann die Entwicklung abgeschlossen ist, kann er noch nicht sagen.

Fehlende Sanktionen

Die Esa beobachtet solche Fortschritte genau. Sie selbst plant eine eigene Müllabfuhr-Mission im All – vorausgesetzt die Mitgliedstaaten stimmen dieser auf dem Ministerrat Ende 2019 zu. "Es geht darum, die Technologie der Entsorgung zu demonstrieren", sagt Krag. "Ein geeignetes Objekt dafür wäre Envisat." Europas größter Umweltsatellit gibt seit 2012 kein Lebenszeichen mehr von sich. Zurzeit kreist er in 765 Kilometer Höhe um die Erde. Wenn nichts geschieht, wird es noch etwa 150 Jahre dauern, bis er in der Atmosphäre verglüht.

Angesichts solcher Zeiträume ist das oberste Gebot: Vermeiden, dass neuer Weltraumschrott entsteht. Vor 15 Jahren haben sich 13 Raumfahrtagenturen deshalb auf Vorschriften geeinigt, was mit Satelliten am Ende ihrer Lebensdauer geschehen muss. Danach müssten diese in der niedrigen Erdumlaufbahn (bis zu 2.000 Kilometer Höhe) spätestens nach 25 Jahren in der Erdatmosphäre verglühen, erläutert DLR-Experte Metz. Kommunikations- und TV-Satelliten im geostationären Orbit (bis zu 36.000 Kilometer Höhe) müssten auf eine sogenannte Friedhofsbahn mindestens 235 Kilometer weiter weg gebracht werden.

Satellitensegel

"Das sind aber nur Richtlinien", sagt Metz. "Es gibt kein weltweites Gesetz und keine Sanktionen." Im relativ hohen geostationären Orbit hielten sich die Betreiber an diese Vorgaben, im erdnahen Orbit liege die Erfolgsquote dagegen nur bei 60 bis 70 Prozent – auch wegen der langen Entwicklungszyklen und Betriebszeiten von Satelliten. "Wir erleben, dass ein Generationswechsel einsetzt", ergänzt Krag. Viele Raketenoberstufen besitzen inzwischen ein wiederzündbares Triebwerk, das diese am Ende der Mission in die Erdatmosphäre bringt. Auch neue Satelliten haben dafür einen speziellen Antrieb. Allerdings macht sie das größer, schwerer und damit auch teurer.

Eine günstigere Möglichkeit, Weltraumschrott zu vermeiden, wollen die Experten in der RemoveDebris-Mission testen. An deren Ende soll der Forschungssatellit ein 25 Quadratmeter großes Segel entfalten. Dieses soll die Sonde innerhalb von acht Wochen aus 400 Kilometern Höhe in die Erdatmosphäre bringen. Ohne das Segel würde das mehr als zweieinhalb Jahre dauern. Doch diese Methode funktioniere nur bei kleineren Objekten effektiv, meint Esa-Experte Krag. Bei großen Teilen bräuchte man riesige Segel – und bei denen wäre es wiederum wahrscheinlicher, dass diese mit Weltraumschrott kollidieren. (red, APA, 5.11.2018)