Kyuss zur Zeit von "Welcome to Sky Valley" – im Stoner Rock gilt dieses Album bis heute als Maßstab. Punkt.

Elektra

1994 war ein seltsames Jahr. Green Day verkauften von Dookie über zehn Millionen Alben, Hootie und der Blowfish schafften mit Cracked Rear View dasselbe und verdeutlichten damit das Problem ihrer Zeit. Oasis veröffentlichten ihr Debüt, Kurt Cobain nahm sich das Leben, Johnny Cash kehrte zurück.

Im härteren Rock, und um den geht es, verschrieben sich Soundgarden mit Superunknown endgültig der Schwere der 1970er, Pearl Jam klagten Ticketmaster (brav!) und veröffentlichten Vitalogy (gähn!). Große Labels kauften alles auf, was im vormaligen Underground halbwegs angesagt war – das Wechselspiel von Anbiederung und der vorherrschenden Wir-kaufen-um-zu-verkaufen-Attitüde war nach dem Welterfolg von Nirvana immer noch in full force.

Spannenderes abseits der Rockmusik

Doch Marktgeschrei allein ergab noch keine gute Musik. Jammern musste man trotzdem nicht, Beck tauchte auf, und abseits des breitbeinig gespielten Rock war mehr los und im Umbruch als ebendort, man denke nur an das Debüt von Portishead!

Ende Juni '94 erschien ein Album, das die immerwährende Hitze besang und ansonsten wenig mit dem zu tun hatte, was gerade versuchte, plugged in oder unplugged, bei MTV unterzukommen: das Album Welcome to Sky Valley von Kyuss.

BS im Jungbrunnen

Das war für alle an Grunge-Überdosen leidenden Rocker eine willkommene Neuorientierung. Also so neu wie Black Sabbath, die mit Anlauf in den Jungbrunnen köpfelten. Schon der Vorgänger von Sky Valley hatte einen spitz gemacht. Blues for the Red Sun (1992) war ein geiles Rockmonster, ging aber im Nirvana-Wahn ziemlich unter und sollte erst über den Erfolg seiner Nachfolger späte Gerechtigkeit erfahren.

Hitze, Geschwindigkeit, mehr Hitze. Green Machine.
MeowYap

Kyuss waren dreckiger und wilder als die zusehends zu Moderockern verkommenden Grunge-Bands, die Spin und ähnliche Zeitgeistmagazine damals monatlich als "next big thing" abfeierten. Kyuss bedeuteten tief gelegte Gitarren, derben Bass, wüstes Schlagzeug und eine Hardrockröhre am Mikro. Heavy shit, und dennoch federten diese Songs leicht und lässig, besaßen Witz und Wucht.

Eine eigene Liga

Mit Welcome to Sky Valley betrat die Band ihre eigene Liga. Sie wurde träger, was die Wirkung ihres bald Stoner Rock gerufenen Sounds noch unbarmherziger wirken ließ. Etwas Psychedelic schlich sich ein, die Soli des Gitarristen vibrierten wie die heiße Luft der Wüste, aus der diese Musik kam.

Kyuss waren damals John Garcia, Josh Homme, Scott Reeder und Brant Bjork – die Beatles und Stones des Stoner Rock. Doch das wären sie nicht ohne Chris Goss geworden. Der gelehrige Sabbathianer hat den Kyuss-Sound wesentlich beeinflusst. Dass er selbst eine Band namens Masters of Reality betreibt, spricht die berühmten Bände.

Masters of Reality – Chris Goss' eigene Band am Höhepunkt ihrer Kunst.
sonicpowergroove

Dabei war Goss nicht bloß ein Kopist. Er verstand es, den Heavy Rock aus den 1970ern mit einem Gefühl von Hitze, Wüste und der Kultur des Skatens und des gelangweilten Drogenfressens in der Zeit nach Punk und Hardcore auf den Punkt zu bringen.

Voll am Pedal

Goss wäre selbst einmal ein gutes Sujet einer ausführlichen Betrachtung hier. Als kleiner Hinweis sei erwähnt, dass das beste Masters-of-Reality-Album, Deep in the Hole (2001), vor ein, zwei Jahren auf Vinyl neu aufgelegt wurde, vom Label Bong Load. Wer das nicht kennt, braucht es sofort; man kann hier sonst gar nicht mitreden, sorry. (Scherz).

Hier Black Sabbathelt es gewaltig: Supa Scoopa and Mighty Scoop.
jacksonthrasher

Goss und Kyuss erwiesen sich als Dreamteam, Welcome to Sky Valley als ihr gemeinsames Meisterstück. Die Dynamik des Albums prägt das Wechselspiel von zähen Songs und solchen, in denen die Band voll am Pedal steht. Supa Scoopa and Mighty Scoop schafft dann gleich beides, während 100° sich wie ein Sprint im Muscle Car in der Mittagshitze anhört, so geil.

Vollgas: 100° – einer der kürzeren Songs auf Welcome to Sky Valley.
MrStonebeliever

Gleich darauf verliert sich die Band in einem akustischen Zwischenspiel namens Space Cadet. Wahrscheinlich hat da der Dealer an der Studiotür geläutet. An der Stelle ist man bereits mitten in der zweiten von drei Suiten, in die das Album etwas hochkulturbeflissen unterteilt ist. Was einem halt so einfällt, wenn man zu viel gärenden Kaktus im Blut verkocht.

Träge Windkraftwerke

Demon Cleaner ist wieder Hausmarke. Ein schwer vom Rhythmus angeschobener Song, in dem Garcia seine Mantras singt, als liege er in der Hängematte: "I'm the only way. I'm the only way ..." Hitze und Trockenheit, die Flügel der am Cover abgebildeten Windkraftwerke drehen sich langsam. Müdigkeit und Geschwindigkeitsrausch in süßer Umarmung.

Coolness in der Wüste: Demon Cleaner.
Atlantic Records

Odyssey dreht wieder alles über den Anschlag hoch. Geiler hat '94 kein anderes Rockalbum geklungen, der Zahn der Zeit kann ihm bis heute nichts anhaben, sein Klang klebt an keinem Trend, an keiner Mode.

Odyssey – alles wieder überm Anschlag.
ABlackShade

Mit N.O. kommt dann noch ein ebenso irrer Song wie das versöhnliche Schlussstück, auf das auf der CD ein Hidden Track folgt: das auf einer Wabberorgel gespielte Lick Doo.

Kyuss wurden 1987 gegründet und 1996 aufgelöst. Die Band sollte sich als so produktive wie erfolgreiche Keimzelle erweisen, im Stoner Rock ist sie der Maßstab. Zwar verkehren manche der ehemaligen Mitglieder heute nur noch über Anwälte miteinander, Reste der Band touren heute als Kyuss lives!, doch das Erbe dieser Zelle ist ohnehin zu reichhaltig, um sich unbedingt eine Reunion zu wünschen.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Der für die Wüstensonne von der Natur am wenigsten resistent gebaute durchsichtige Rotschopf Josh Homme wurde nach dem Ende von Kyuss Chef der Queens of the Stone Age. Damit erwies er sich als welteroberungstauglicher Rock 'n' Roller. Er schenkte uns über mehrere Jahre hinweg die Desert Sessions auf Frank Koziks Label Man's Ruin.

Das waren teils hochkarätig besetzte Alben und EPs mit Musik zwischen Genie und Wahnsinn; und Homme hielt Mark Lanegan die Treue. Neben Kyuss hat Homme für Lanegans Screaming Trees live seine Gitarre gewürgt – und ab 1998 zumindest drei großartige Platten mit den Queens gemacht, die ohne Lanegans Zutun beträchtlich wirkungsärmer ausgefallen wären.

Kyuss legten 1995 mit ... And the Circus Leaves Town noch einmal nach. Ebenfalls ein tolles Album, aber dann doch nicht der Burner wie Welcome to Sky Valley. (Karl Fluch, 6.11.2018)