29. 10.: Die Leut’ mal wieder … Die Dame links vor mir liest mitten im Film Nachrichten auf ihrem Handy. Erst nach dem zweiten, recht vehementen Hinweis ihrer Sitznachbarin steckt sie das Ding endlich weg. Oida! Mir ist schleierhaft, wie man bei "Zimna Wojna" die Augen von der Leinwand nehmen kann, so bezaubernd ist dieser schöne Schwarz-Weiß-Film über die Liebe, die Musik und das Leben in Polen und im Exil zur Zeit des Eisernen Vorhangs. Die dramatischen Ereignisse wirken zwar stellenweise etwas konstruiert, das kann man im Sinne der Romantik aber verzeihen.

"In Fabric" ließ mich hingegen verständnislos zurück. Es ist Giallo, Horror, Komödie und Holzhammer-Konsumkritik in einem kruden Mix, bei dem das Ganze leider deutlich weniger ist als die Summe seiner Einzelteile. Die Story von, ich nenne es mal: "Clothy dem Mörderkleid" sieht zwar teils umwerfend retro aus, findet aber nicht den passenden Ton zwischen Witzen, Drama, Seltsamkeiten, Blut und Beuschel.

"Weldi", "Rojo" und "What you gonna do when the world’s on fire?"

30. 10.: Die Geschichte eines Sohnes, der sich von seinen Eltern, seinem wohlbehüteten Umfeld entfremdet und eine ungeheure Entscheidung trifft – das erzählt das tunesische Familiendrama "Weldi" aus der Sicht des Familienvaters. Ebenso wie das Publikum ist er gleichsam erschüttert wie ratlos, was in seinem Sohn vorgeht. Dieser Fokus auf den Vater hat sich ausgezahlt. "Weldi" erzählt seine Geschichte dadurch recht unaufgeregt, ohne großes Spektakel, und er lässt viele Fragen unbeantwortet. Dennoch hat er eine ziemliche emotionale Wucht.

"Weldi" von Mohamed Ben Attia.
Foto: Viennale

Auch "Rojo" fokussiert auf einen Familienvater, jedoch war’s das auch schon in puncto Gemeinsamkeiten mit "Weldi". Ein sinnloser Selbstmord, Immobilienbetrug, Eifersucht unter Teenagern und ein Superdetektiv mit zweifelhafter Moral – die Handlung mäandert in vielen Strängen dahin, der Protagonist hält das irgendwie thematisch zusammen. Der Sinn des Ganzen hat sich für mich aber zu gut versteckt, und die Motivation der Charaktere war derart unklar, dass mir lediglich die zugegeben toll konstruierte Seventies-Atmosphäre von "Rojo" wirklich in Erinnerung geblieben ist.

"What you gonna do when the world’s on fire?" blieb dann aber picken – und das obwohl ich einige Passagen dank schmerzlich vermisster Untertitel (arger Südstaaten-Slang!) nicht ganz verstanden habe. Filmemacher Roberto Minervini hat "quasi" einen Dokumentarfilm über die Lebensrealität von Afroamerikanern in den USA gedreht, aber doch so hohe ästhetische Ansprüche, dass die Bilder einfach ein Genuss fürs Auge sind. Spannend war dabei sicher auch die Produktionsarbeit, da sich Minervinis Projekte erst im Laufe der Dreharbeiten zu einem fertigen Film formen.

"Entre dos aguas" und "Îmi este indiferent dacă în istorie vom intra ca barbari"

31. 10.: Die Trennung zwischen Dokumentarfilmen und Spielfilmen ist im Programm ja aufgehoben, und "Entre dos aguas" führt das auf sehr spannende Art und Weise vor Augen. Es ist die Geschichte zweier Brüder in Spanien – der eine frisch aus dem Häf'n, der andere mit einem Job bei der Marine und beide mit mehreren Töchtern. Man fühlt sich mittendrin im Leben der beiden, mit allem, was dazugehört (Spoiler: unter anderem Sex und eine ziemlich explizite Geburtsszene), und ist sich nie sicher, was Fiktion und was "echt" ist. Das kann aber auch egal sein, emotional mitreißend ist "Entre dos aguas" so oder so.

Isaki Lacuestas "Entre dos aguas".
Foto: Viennale

Tief Luft holen … "Îmi este indiferent dacă în istorie vom intra ca barbari" hat nicht nur einen langen Titel, auch der Film ist mit fast zweieinhalb Stunden recht lang. So lang, dass sich der Regisseur Radu Jude vorweg beim Publikum dafür entschuldigt. Das hätte gar nicht sein müssen, denn für mich ist die Zeit wie im Flug vergangen – im positiven Sinne natürlich. Die … (blättert im Katalog) ... "metafiktionale Farce im Theatermilieu" ist absolut sehenswert. In cleveren Dialogen wird die rumänische Geschichtsklitterung bezüglich Massakern im Zweiten Weltkrieg diskutiert und dazwischen fröhlich die vierte Wand durchbrochen. (Patrick Mittler, 6.11.2018)