Der Rock 'n' Roll stirbt nicht, solange man ihn lebt. Im Alter geht das am besten in Balladenform. Marianne Faithfull kennt sich da aus: Sie hat vieles und viele überlebt.

Foto: Warner

Sie hat eine Stimme, der man ihr Leben anhört. Das ist so ein Stehsatz für Sängerinnen und Sänger jenseits der 70. Im Falle der Marianne Faithfull aber gilt er seit gut 40 Jahren. Das Brüchige, Verraucht-Verruchte begleitet die Britin eigentlich ihr Leben lang.

Immerhin galt sie als begabtestes Groupie des Swinging London, liebte Mick Jagger und Keith Richards – war aber mehr als bloß eine Zierde der wilden Buben: Marianne war selbst ein wildes Mädchen. Das brachte sie ganz nach oben und ganz nach unten. Sie war obdachlos und Junkie, doch sie hat sich gefangen und gilt heute als eine der wenigen großen Damen des Rock 'n' Roll und seines Lifestyles.

Cave singt, Ellis fiedelt

Die 71-Jährige blickt als Überlebende zurück, schon lange hofieren sie nachgeborene Tunichtgute. Ihr jüngster Rückblick ist das Album Negative Capability. Ihre anhaltende Wirkmacht unterstreicht dabei die Liste jener, die an dem Album mitgearbeitet haben. Denn wenn Faithfull anruft, lassen selbst vielbeschäftigte Typen wie Nick Cave alles liegen, schreiben ihr Songs und freuen sich darüber, sie mit ihr zu singen.

Cave ist auf zwei Liedern des Albums dabei, sein Schatten Warren Ellis blieb von Anfang bis zum Ende. Mark Lanegan hat ihr ein Lied geschrieben, Ed Harcourt spielt mit ... – lauter honorige Fans und Mitstreiter.

La Faithfull und Le Cave singen gemeinsam The Gypsy Faerie Queen.
Marianne Faithfull

Mit ihnen schuf Faithfull ein einnehmendes und zärtliches Balladenalbum, selbst As Tears Go By nahm sie wieder auf. Der Song machte die 17-jährige Marianne 1964 berühmt. Heute besitzt er die Autorität des Alters. Die Tränen rinnen keinem Backfisch über die Wangen, sie haben längst Rinnsale gebildet, die verflossene Lieben und verstorbene Freunde ihr ins Antlitz geschrieben haben.

Beim ersten Mal war sie 17, jetzt 71. Das Alter sind nur Zahlen, die durcheinander purzeln. As Tears Go By, das gilt immer.
Marianne Faithfull - Topic

Das Lied Born To Live flutet so ein Tränental. Faithfull erinnert sich darin an ihre Freundin Anita Pallenberg. Pallenberg war eine der großen Lieben des Keith Richards und ist im Vorjahr gestorben. Anlass genug für Faithfull, ihr ein inniges Lied über die Liebe, das Leben und den Tod nachzurufen.

Eine Meditation von Bob Dylan

Die Vergänglichkeit ist auch ein Thema des Bob-Dylan-Songs It's All Over Now, Baby Blue, den sie schon vor 20 Jahren einmal aufgenommen hat. Warren Ellis streicht dazu seine Geige, Faithfulls Vortrag besitzt die Qualität einer Meditation – durchwirkt von etwas Nostalgie. Natürlich kannte sie auch Dylan besser als wir Fußgänger des Lebens.

The Come At Night – Mark Lanegan hat für Faithfull diesen Song geschrieben.
Marianne Faithfull - Topic

Wütend zeigt sie sich hingegen im Song They Come At Night. Das Lied hat ihr Mark Lanegan geschrieben, und es behandelt das Attentat im Konzertsaal Bataclan am 13. November 2015 in Paris. Es ist der grimmigste Song des Albums und zeigt, dass Faithfull nicht nur verklärt in die Vergangenheit schaut, sie hat immer noch Biss. (Karl Fluch, 6.11.2018)