In Seoul wurde am Sonntag ein Weltrekord aufgestellt. Es ging darum, wie viele Menschen gleichzeitig Kimchi machen. Es waren 3452.

Foto: AFP / Ed Jones

Die Geburtsstunde der Kimchi-Massenproduktion klingt ein bisschen wie aus einem Spionage-Thriller entnommen: Am 14. März 1967 reiste Südkoreas Premierminister Chung Il-kwon in "äußerst wichtiger" Mission nach Washington, wo er um ein geheimes Vieraugengespräch bei US-Präsident Lyndon B. Johnson ansuchte. Der damals noch bitterarme Agrarstaat hatte zuvor hunderttausende Soldaten in den Vietnamkrieg geschickt, um vom US-Alliierten Auslandsdevisen zu erhalten.

Die Moral der Soldaten befände sich auf einem Tiefpunkt, erklärte Chung laut einem klassifizierten Gesprächsprotokoll des US-Außenministeriums. Der Grund dafür sei kulinarischer Natur: Die Soldaten würden ihr "lebenswichtiges" Kimchi aus der Heimat vermissen. Johnson sah dies ein – und bewilligte zwei Millionen US-Dollar jährlich, um die Infrastruktur und Logistik für den Transport des fermentierten Krauts nach Vietnam bereitzustellen. Geld, mit dem die ersten Kimchi-Fabriken gebaut wurden.

Den Fermentierungsprozess perfektionieren

Über 50 Jahre später führt Generaldirektor Ha Jae-ho durch ein halbes Dutzend Forschungslabore, vorbei an Labormäusen, Mikroskopen und Destillieranlagen. Ha leitet das World Institute of Kimchi im südlichen Gwangju, das – nebenbei bemerkt – an der Kimchi-Straße liegt. "Unsere 50 Wissenschafter untersuchen den gesundheitlichen Nutzen von Kimchi, und wie wir den Fermentierungsprozess perfektionieren können", sagt Ha.

51 Patente haben sie seit Institutsgründung vor acht Jahren angemeldet, 212 wissenschaftliche Studien publiziert und dutzende Konferenzen weltweit organisiert. Kimchi wird hier als "Superfood" angepriesen, das bei der Gewichtsreduzierung helfen, atopische Dermatitis lindern und mithilfe seiner Aminosäuren Muskelschwund bei älteren Menschen verhindern soll. Auch die lange Lebenserwartung der Koreaner sei zum Teil auf den Konsum von Kimchi zurückzuführen, sagt Ha.

Für ausländische Besucher ist schwer nachzuvollziehen, wie sehr das fermentierte Kraut mit der kulinarischen Identität der koreanischen Halbinsel verknüpft ist. Zu jeder, wirklich ausnahmslos jeder Mahlzeit wird Kimchi als Beilage serviert – und zudem auch mit Reis gebraten, in Suppe eingelegt oder in Teigtaschen gefüllt. Die ersten schriftlich überlieferten Rezepte gehen bis ins 13. Jahrhundert zurück.

Kimjang auf Unesco-Liste

Ehrensache, dass die meisten Familien ihr Kimchi selbst zubereiten, vor allem wenn der Winter bevorsteht. Kimjang, die traditionelle Saison für die Kimchi-Zubereitung, wurde 2013 in die Unesco-Liste für immaterielles Kulturerbe aufgenommen. Auch diese Nachricht füllte die Titelseiten aller großen Tageszeitungen.

Seoyoung Jung hat bereits als Kind gelernt, Kimchi zuzubereiten. Die gelernte Köchin wuchs in einer kleinen Ortschaft in Gangwon auf. Die Provinz im Osten der Halbinsel ist für ihre bergige Abgeschiedenheit und ihre konservativen Bewohner bekannt.

Über 300 Kimchisorten

Jeden November, erinnert sie sich, sei die ganze Familie im Innenhof des Hauses für die Prozedur zusammengekommen, die sich über eine Woche hinzog. Erst werden die Kohlköpfe, insgesamt 60 Stück, gründlich für einige Tage in Salzwasser eingelegt. Dann werden sie klein geschnitten und mit Fischsoße, Knoblauch, Ingwer, Schalotten und Chilischoten vermengt. Das junge Kimchi wird in Terrakottatöpfe gefüllt und im Garten vergraben. Dort gärt es für die kommenden Wochen, bis der Frost einsetzt. "Insgesamt gibt es über 300 Kimchisorten, jede Region hat ihr eigenes Rezept", sagt Seoyoung Jung. "In Nordkorea ist es erfrischend und mild, im Süden wesentlich salziger."

In den 1990er-Jahren hat die Südkoreanerin ihre kulinarische Leidenschaft entdeckt, während sie ein Jahr lang bei einer Gastfamilie in England wohnte. Doch als sie dort ebenfalls Kimchi einlegte, wurde sie von ihren Bekannten wegen des exotischen Geruchs nur argwöhnisch beäugt. Längst aber hat sich die Wahrnehmung von Kimchi gewandelt: Wenn Seoyoung Kim mit ihrer Firma Bburi Kitchen Kochabende veranstaltet, sind die meisten Besucher Ausländer, die authentische koreanische Gerichte entdecken wollen.

Billige Konkurrenz aus China

Die eigene Jugend jedoch löst sich allmählich von der Kimchi-Tradition: Institutsleiter Ha sorgt sich, dass die rund 60 Prozent seiner Landsleute ihr Kimchi nicht mehr selber machen, sondern Fabrikware im Supermarkt kaufen – und die wird zumeist aus dem günstigeren China importiert. (Fabian Kretschmer aus Gwangju und Seoul, 6.11.2018)