Die Echte Karettschildkröte ist vom Aussterben bedroht. Vereinzelt nistet sie auch am Arabischen Golf.

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Hatte als Kind in Schottland ein Chamäleon als Haustier und ist heute Schildkröten-Schützerin auf Saadiyat: die Meeresbiologin Arabella Willing

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Schöner Strand, schönes Wasser: Die Dünen der Insel Saadiyat dürfen nicht bebaut und nur auf wenigen angelegten Pfaden und Holzplanken durchquert werden.

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Wenn nur noch die Sterne leuchten, kommen sie an Land. Im Schutz der Nacht schleppen sie sich schwerfällig in Richtung Dünen. Es ist die Stätte ihrer Geburt. Von unsichtbaren Kräften gelenkt, kehren sie zurück: an den schönsten Strand der Emirate.

Lange schon zählen die Karettschildkröten, die bis zu 75 Kilo schwer werden können, zu den bedrohten Arten. In den Dünen der Insel Saadiyat unmittelbar vor Abu-Dhabi-Stadt graben sie ihre Nester, legen im April, Mai und Juni ihre Eier ab, 55 bis 65 Tage später schlüpfen ihre Nachkommen. Sie tun es so heimlich wie möglich und warten im Wasser in Küstennähe, bis es möglichst still ist. Wie zu Anbeginn der Zeiten, als ihre Urahnen an derselben Stelle an Land gingen. Warm ist es auch in der Nacht noch, leichter Wind sortiert die schneeweißen Sandkörner neu, knistert mit dem Halfagras der Dünen. Und eine passt auf: Arabella Willing.

Strenge Auflagen

Erst hat die Meeresbiologin aus Schottland auf den Malediven gearbeitet, jetzt ist sie so etwas wie die "Schildkrötenmutter von Saadiyat". Sie steht auf der Gehaltsliste eines der Luxushotels und ist gleichwohl mit so vielen Vollmachten ausgestattet, dass sie auch für alle anderen Hotels entlang des neun Kilometer langen Bilderbuchstrandes von Saadiyat weisungsbefugt ist: Sie kann dazu auffordern, die Außenbeleuchtung zu dimmen oder auszuschalten, Strandbars zeitweilig zu schließen, Musikboxen auszustöpseln – im eigenen Haus ebenso wie bei der Konkurrenz. "Ich bin so etwas wie die Licht- und Tonaufsicht", sagt sie. Sogar Großbaustellen kann sie in Zusammenarbeit mit der Polizei über Nacht stilllegen lassen. Damit sich die Schildkröten in Sicherheit wähnen und an Land trauen.

Das Glück der Schildkrötenschützer der Emirates Natural History Group um Willing ist, dass sie ein Mitglied der Herrscherfamilie auf ihrer Seite wissen. Scheich Nahyan bin Mubarak al-Nahyan ist so etwas wie der Ehrenvorsitzende der Naturschützer. Sein Name hat hier Gewicht. Nur deswegen geschieht, was Willing sagt.

Zwar sind an der zuvor menschenleeren Küste von Saadiyat binnen zehn Jahren unzählige Hotels und Villen entstanden, die Auflagen sind dennoch streng. Jetski und Motorboote dürfen sich diesem Strand nur auf maximal zwei Kilometer nähern. Die Dünen dürfen nicht bebaut und nur auf wenigen angelegten Pfaden und Holzplanken durchquert werden. Hotels und Wohnhäuser gibt es erst hinter dem Dünengürtel – viel weiter weg vom Meeressaum als anderswo. Und draußen auf dem Wasser gelten große Fischfangverbotszonen über Seegraswiesen, die ebenfalls unter Schutz gestellt wurden – weil im Golf die weltweit zweitgrößte Dugong-Population lebt. Viele dieser ebenfalls bedrohten Seekuhfamilien grasen dort auf dem Meeresgrund.

Bauboom

Leicht lässt sich argumentieren, dass es den Schildkröten besser erginge, wäre an Saadiyats Küste gar nicht erst gebaut worden. Das ist sicher richtig und doch in dieser Weltgegend aussichtslos. Der Bauboom greift nach allem, was schön ist und leer war. Er hat mit allem, was an Interessen dahintersteht, die weitaus größere Macht. Die Kunst ist deshalb, beides unter einen Hut zu bringen und dabei das Beste für alle herauszuholen.

Gemeinsam mit Ritesh Bhakta, Mohamed Abdelatty, Jeanette und Nick du Preez sowie all den anderen Mitstreitern des bereits 1977 gegründeten Emirates Natural History Group hat Arabella Willing viel erreicht. Mehr als 100 verletzte Schildkröten haben sie gerettet und ins Turtle Rehabilitation Center drüben in Dubai gebracht, weit mehr noch den Bau ihrer Nester ermöglicht und noch mehr Jungtieren den Weg zurück ins Meer geebnet.

Still in die Fluten

"In der Zeit der Ei-Ablage spaziere ich jeden Morgen um fünf Uhr vier Kilometer in die eine und vier in die andere Richtung am Strand entlang", erzählt Willing, "um anhand der frischen Spuren im Sand etwaige Nester zu lokalisieren, zu markieren und noch am selben Vormittag mit dem Team einzuzäunen. Meistens finde ich aber am Strand mehr verlorene Sonnenbrillen als Nester." In manchen Jahren ist es bloß ein Dutzend, in anderen sind es 40 Gelege. Eine einzelne Schildkröte legt bis zu fünf Nester an, verteilt hunderte Eier – und verschwindet noch vor Sonnenaufgang so still wieder in den Fluten, wie sie Stunden zuvor an Land gekommen ist.

Zur Schlüpfzeit werden die Gelege beobachtet, um den Jungtieren den sicheren Weg zurück ins Meer zu ermöglichen. Der ist hier weit. "Einen Meter pro Minute legen sie zurück, von den Dünen bis zum Wasser sind es oft mehr als 100 Meter. Mehr als anderthalb Stunden dauert es deshalb, bis die Minischildkröten im Meer sind und davonschwimmen können." Ihre Feinde an Land sind vor allem Füchse, Schlangen, Raubvögel – und Menschen. Ob Willing ein Leben für die Schildkröten in die Wiege gelegt war? Sie lacht und streicht sich eine Strähne aus der Stirn: "Nicht unbedingt, als Kind zu Hause in Schottland hatte ich ein Chamäleon als Haustier."

Die Schönheit des Meeres

Was man so früh morgens am Strand noch so alles sieht? Gazellen zum Beispiel. Wo Wüste auf Meer trifft, sind auch sie zu Hause. Und die Frühaufsteher unter den Urlaubern natürlich. Die ersten Jogger, die der Hitze des Tages zuvorkommen wollen. Und manchmal springen draußen vor der Küste die Delfine.

An vier Tagen pro Woche sitzen Freiwillige auf dem Flachdach eines Hotelrestaurants, haben mit Feldstechern das Meer im Blick und kartieren Seevögel – oder Delfine. Ihr größtes Glück? "Jungtiere springen zu sehen!", sagt Mohamed Abdelatty, der eigentlich Fernsehjournalist ist und in seiner Freizeit an solchen Projekten mitarbeitet. "Denn das ist ein Beweis dafür, dass die Population gesund ist und die Wasserqualität stimmt." Die Schönheit des Meeres steht dem Strand hier tatsächlich in nichts nach. Es schillert still in Türkis vor sich hin. (Helge Sobik, RONDO, 9.11.2018)