Alexander Bechstein (horizontal) und Peter Lindenberg sind die Vintagerie, in der es bei jedem Einfkaufsbummel Geschichten und ein Glas Rosésekt gibt.

Foto: Nathan Murrell

Natürlich können wir Geschichten erzählen. Aber hallo! Zum Beispiel jene von einem riesigen Lobmeyr-Kristallluster, einem Entwurf für die New Yorker Metropolitan Opera. Ein pleitegegangener Geschäftsmann in der Kärntner Straße musste ihn in den 80er-Jahren als Zahlungsmittel verwenden. Jahrzehnte später kam er über Umwege zu uns.

Berichten könnte man auch von unserer goldenen "Palmenlampe", die aus einer geheimnisvollen Villa im 19. Bezirk stammt. Dort wurde mehrfach eingebrochen, aber die Leuchte war den Räubern wohl zu sperrig. Der Millionär und Playboy Gunter Sachs hatte auch ein solches Stück. Wir nennen ihren Style "Hollywood-Regency-Chic".

Als wir vor sechs Jahren unser Geschäft in der Wiener Nelkengasse im siebten Bezirk aufsperrten, machten wir uns keine großen Gedanken über die Zukunft. Früher waren hier übrigens ein bulgarischer Friseur und davor eine Kleiderfabrik untergebracht. Für uns war das damals einfach Spaß an der Freude und Freude an den Dingen.

Apropos: Wie viele Objekte wir hier auf 180 Quadratmetern anbieten, wissen wir nicht. Ein paar Hundert werden es sein. Preislich starten wir bei 35 Euro für ein Tablett, das teuerste Objekt ist ein Luster um 7500 Euro. Ein Glas Sekt gibt's gratis. Rosé.

"Es ist einfach spannend, sich vorzustellen, aus welchem Umfeld ein Möbel stammt."
Foto: Nathan Murrell

Wir verkaufen Menschen einen ganz bestimmten Lifestyle, und man kann durchaus von einem Boom in unserer Branche sprechen. Die Gründe dafür liegen einerseits darin, dass sich auch moderne Designer immer mehr an der Formensprache der 50er- und 60er-Jahre orientieren. Andererseits sehen wir, dass immer mehr Menschen auch so etwas wie eine Geschichte kaufen wollen. Es ist einfach spannend, sich vorzustellen, aus welchem Umfeld ein Möbel stammt.

Peter Alexander und Martini

Nehmen wir zum Beispiel die Bar in unserem Geschäft. Sie wurde in den 50er-Jahren gebaut und war einst in einem Erkerzimmer bei einem Zahnarzt untergebracht. Im Geiste sehen wir ein Bild vor uns, auf dem dieser Zahnarzt im Peter-Alexander-Look mit Freunden nach Feierabend an der Bar lehnt, fest raucht und am Martini nippt. Es könnte auch Weinbrand sein. Das Zimmer, aus dem wir die Theke abholten, verfügte sogar über einen echten Springbrunnen. Ohne Schmäh! Wir sind damals vor Freude gehüpft. Gehüpft sind wir allerdings auch, weil es schnell gehen musste, das Stück zu organisieren.

Grundsätzlich schätzen wir alle Designklassiker ab den 30er-Jahren. Nur Ikonenhaftes zu zeigen, das man eh schon kennt, wäre uns zu langweilig. Natürlich gibt's bei uns auch den einen oder anderen bekannten Designernamen, aber das Portfolio besteht eher aus individuelleren Stücken, zum Beispiel unsere sehr beliebten Sideboards des tschechischen Designers Jiri Jiroutek.

Klar hat unser Business auch mit intimen Situationen zu tun. Viele unserer Objekte stammen aus Nachlässen und da muss man mitunter schon Fingerspitzengefühl an den Tag legen. Wir hegen gegenüber fremden Lebensräumen und deren Geschichten großen Respekt.

Das Allerschönste ist, wenn wir mit den Taschen voller Geld in unseren Transporter steigen und erst dann von einem "Beutezug" zurückkommen, wenn kein Aschenbecher mehr ins Auto passt. Vor allem in Frankreich werden wir immer wieder fündig.

"Grundsätzlich schätzen wir alle Designklassiker ab den 30er-Jahren. Nur Ikonenhaftes zu zeigen, das man eh schon kennt, wäre uns zu langweilig."
Foto: Nathan Murrell

Das liegt unter anderem an der sehr hohen Erbschaftssteuer in Frankreich, die manche Erben dazu zwingt, ganze Haushalte aufzulösen. Und noch etwas für all jene, die es uns gleichtun wollen: Ein enges Netzwerk ist für diesen Job ebenso unerlässlich wie eine detektivische Nase. Oft dauert es Wochen, um Informationen über das eine oder andere Stück herauszufinden. Manchmal sitzt man sogar mit dem iPad in der Badewanne und stöbert im Netz nach der Geschichte eines Dings.

Spezielles Plätzchen

Von unserem Tellerrand aus betrachtet haben die Menschen verstärkt Sehnsucht nach einem individuelleren Wohnstil. Und dem kommen Vintagestücke sehr entgegen. Natürlich kann man sich auch mit modernen Stücken auf eine besondere Art einrichten, aber kauft man bei uns einen Sessel, kauft man auch eine gewisse Exklusivität. Schließlich wird er nicht mehr produziert. Das macht ihn einzigartiger und erfordert auch ein spezielleres Plätzchen in der Wohnung. Ein Nostalgiefaktor kommt freilich auch hinzu.

Für viele aus unserer Generation sind die Dinge der 50er-, 60er- und 70er-Jahre einfach spannender. Man muss sich vorstellen, dass die 50er-Jahre mittlerweile so weit vom Jahr 2018 entfernt sind wie der Jugendstil von den 80er-Jahren.

Und noch etwas: Wir sind kein Geschäft für Leute, die sich ihre Wohnung per Mausklick zusammenstellen möchten. Unsere Kunden sind Menschen, die über ein stärker ausgeprägtes Designbewusstsein und eine gemeinsame "Marschrichtung" verfügen. Das kann eine Studentin ebenso sein wie ein 50-jähriger Mann, der sich gerade hat scheiden lassen und sich neu einrichten möchte.

Wir sind für beide da, und das Schönste ist, mit ihnen an unserer Zahnarztbar zu stehen und über das Besondere eines Stücks zu parlieren. Am besten bei einem Glas Sekt. Oder Martini. Andere müssen den ganzen Tag im Büro sitzen. (Michael Hausenblas, RONDO, 9.11.2018)

Bechstein und Lindenberg schätzen alle Klassiker ab den 1930er-Jahren. Nur Ikonenhaftes zu zeigen wäre ihnen aber viel zu langweilig. Als essenziell für ihren Job bezeichnen sie ein gutes Netzwerk und eine detektivische Nase.
Foto: Nathan Murrell