Die ersten Legal-Tech-Produkte sind in Verwendung, die wahren Umwälzungen stehen allerdings noch bevor.

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Nikolaus Forgó, Professor für Rechtsinformatik am Juridicum in Wien.: "Die Anwendung ist komplizierter als gedacht."

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Legal-Tech-Expertin Sophie Martinetz: "Der Weg dorthin ist noch sehr lang."

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Kann ein Computer einen Anwalt ersetzen, oder gar einen Richter? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Rechtswelt schon seit Jahren. In den 1970er-Jahren entstand das Gebiet der Rechtsinformatik, in dem erstmals versucht wurde, juristische Vorgänge und Entscheidungen zu automatisieren.

Heute wird das Legal Tech genannt und schwimmt gerade auf einer Welle großer Hoffnungen, verbunden mit kostspieligen Investitionen und auch so manchen Existenzängsten. Kaum eine größere Kanzlei oder Rechtsabteilung, die derzeit nicht auf dem Markt nach neuen Softwareprodukten sucht oder überlegt, wo sie durch Automatisierung Kosten sparen und effizienter arbeiten kann – etwa eine digitale Aktenverwaltung, bei der gezielt nach Schlagwörtern gesucht werden kann.

Unklarheit der Sprache

Doch die Herausforderungen sind die gleichen wie einst, sagt Nikolaus Forgó, Professor für Rechtsinformatik am Juridicum in Wien. "Die Anwendung der Digitalisierung im Recht ist viel komplizierter als gedacht und scheitert oft an der Unklarheit der Sprache, die im Gesetz verwendet wird", sagt er dem STANDARD.

"Von diesen Uneindeutigkeiten leben die Juristen und machen es schwer, die passenden Algorithmen herzustellen." Künstliche Intelligenz mag zwar auf dem Vormarsch sein, "aber der Weg dorthin ist noch sehr lang", sagt die Legal-Tech-Expertin Sophie Martinetz.

Wie viel auf dem Gebiet dennoch in Bewegung ist, zeigt sich im Vorfeld der Legal-Tech-Konferenz, die am Mittwoch zum zweiten Mal in Wien stattfindet, mit reger Beteiligung fast aller größerer Kanzleien und Rechtsinstitutionen. Denn alle in der Branche wissen: Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um neue Anwendungen, sondern um veränderte interne Prozesse, neue Geschäftsmodelle und eine ganz andere Arbeitswelt für Anwälte.

In Österreich am Anfang

Vor allem im Vergleich zur angelsächsischen Welt stehen viele österreichische Kanzleien und Rechtsabteilungen hier noch ganz am Anfang, sagt Martinetz, die die Konferenz organisiert: "Immer noch wird viel zu viel händisch eingegeben, dann druckt man es als PDF aus und gibt es dem nächsten weiter. In Unternehmen wird jeder einzelne Vertrag in die Rechtsabteilung geschickt und dann einzeln überprüft. Doch gleichzeitig müssen dieselben Leute immer mehr Arbeit erledigen und stoßen an ihre Grenzen. Deshalb braucht man nicht nur eine neue Kanzleisoftware oder einen digitalen Aktenschrank, sondern auch neue interne Prozesse."

Doch dies erfordert intensive Vorarbeiten, sagt Martinetz. Verträge müssen standardisiert werden, damit sie digital verarbeitbar sind. Aber dafür müsse die Vertragserstellung neu aufgesetzt werden – und auch so manche Inhalte neu überdacht werden. "Digitalisierungsthemen sind keine IT-, sondern Strategiethemen", sagt Martinetz.

"Jeder Vertrag ist ein bisschen anders. Ich muss mir überlegen, was vom alten Vertrag noch passt und was nicht. Das ist Knochenarbeit. Aber wenn man schlechte Verträge digitalisiert, hat man wieder schlechte Verträge." Auch die Effizienz von digitalen Suchvorgängen hänge vor allem davon ab, "dass man weiß, wonach man sucht. Die Maschine kann nur tun, was du ihr sagst."

Kleine Kanzleien im Nachteil

Vor allem aber braucht man große Datenmengen, um diese Standardisierung durchzuführen und dann durch künstliche Intelligenz zu analysieren. Und hier sind Einzelanwälte und kleine Kanzleien gegenüber den großen Sozietäten und Netzwerken wie etwa Linked-in im Nachteil, betont Forgó. "Ein kleiner mittelständischer Anwalt, der seine Verträge digital prüfen möchte, dem fehlen die Fallzahlen." Auch in Zivilprozessen werde man ohne entsprechende digitale Ressourcen in Zukunft im Nachteil sein.

Forgó erwartet daher in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einen wachsenden Druck auf mittelgroße Kanzleien, sich zusammenzuschließen, allein schon wegen des Preisdrucks, der aus der technologischen Entwicklung erwächst. "Die Synergien aus der gemeinsamen Datenbewirtschaftung werden immer wichtiger werden", sagt er. Einzelanwälte werden nur durch überlegene Soft Skills und in einigen Nischen überleben können.

Datenschatz der Justiz

Den größten Datenschatz überhaupt aber hütet die Justiz, sagt Martinetz. Dieser muss in den meisten Fällen allerdings erst gehoben werden. In großen Wirtschaftsverfahren mit ihren Millionen von Akten sei eine umfassende digitale Aufarbeitung für die Staatsanwaltschaft heute schon unverzichtbar. Martinetz: "Es geht hier um Waffengleichheit mit der Heerschar von Anwälten auf der anderen Seite."

Die digitale Revolution werden als Erstes die Jusabsolventen zu spüren bekommen, sagt Forgó. "Viele Arbeitsplätze für junge, ehrgeizige Leute, die Jus studiert haben, wird es in fünf Jahren nicht mehr geben: AGBs prüfen, einen typischen Gesellschafter- oder Kaufvertrag durchsehen, Due Dilligence durchführen – da wird vieles wegfallen. Das ist eine Bedrohung für junge Leute. Es wird viel schwieriger, in die Branche einzusteigen."

Neue Skills gesucht

Das Berufsbild der Zukunft beschreibt Forgó so: Gebraucht werden am unteren Ende IT-Experten, die die Maschinen programmieren, und am oberen Ende Juristen, die Skills mitbringen, die sich nicht durch Maschinen substituieren lassen. Wer heute Anwalt werden will, sollte daher ein breites juristischen Wissen mit spezifischen Kenntnissen in einer Branche kombinieren, empfiehlt er den Studienanfängern.

Gleichzeitig aber eröffnen sich durch Legal Tech neue Geschäftsfelder, etwa für Software- und Lösungsanbieter, aber auch für Juristinnen, die aus dem Anwaltsgeschäft ausgestiegen sind, weil sich das mit der Familie nicht gut vereinbaren lässt, sagt Martinetz. "Frauen können hier leichter zurückkehren, mit neuen Lösungen und neuen Ideen." (Eric Frey, 7.11.2018)