Freudentränen trotz fehlenden Happy Ends: Der Buchpreisgewinner und Musiker Daniel Wisser bevorzugt den differenzierten Blick auf Literatur und Gesellschaft.

Foto: Heribert Corn

Auch Alexander Van der Bellen gratulierte. Er habe seinen neuen Roman übrigens der lettischen Nationalbibliothek geschenkt, schreibt der Bundespräsident im Tweet, in dem er Daniel Wisser zum Gewinn des Österreichischen Buchpreises beglückwünschte. Er spielte darin auf die Tätigkeit Wissers im legendären Ersten Wiener Heimorgelorchester an, dessen neues Album den vielsagend-schönen Titel Die Letten werden die Ersten sein trägt.

Ein Musiker des Heimorgelorchesters, das die NZZ einmal als "eine Art Gotthilf-Fischer-Chor der Tasteninstrumente" bezeichnete? Bei weitem nicht nur, denn so vielschichtig und am Ende überraschend Wissers preisgekrönter Roman Königin der Berge (Jung und Jung) ist, so vielfältig sind die Interessen des 47-Jährigen, der 2017 an Armin Assingers Millionenshow teilnahm. Er beantwortete 14 der 15 Fragen richtig, stieg dann aus – und gewann 300.000 Euro. Die Hälfte davon spendete er für karitative Zwecke. Obwohl viel über Wisser, der sich mit sechs Büchern in der literarischen Szene einen guten Ruf erwarb, geschrieben wurde, ist er einer, über den persönlich wenig bekannt ist. Das möchte er auch nicht ändern.

STANDARD: In all den Artikeln über Sie erfährt man wenig Privates. Warum?

Wisser: Derartiges ist uninteressant. Ich weiß nicht, ob ich jemandem einen Gefallen tue, wenn ich über meine Hobbys, meine Kindheit et cetera spreche. Wer Daniel Wisser ist, das müssen Sie sagen.

STANDARD: Sie sind ein Autor, der sich nicht festlegen lassen will.

Wisser: Das stimmt und hat damit zu tun, dass ich für jeden Roman eine spezifische Form zu finden versuche. Ich stehe der heutigen "Romanwut", wie man es fast nennen muss, skeptisch gegenüber. Erstens schreiben gegenwärtig viele Menschen Bücher, die sich nicht unbedingt als Schriftsteller verstehen. Zweitens wird die Bezeichnung Roman recht freizügig von Verlagen unter Titel gesetzt. Ich frage mich, ob das permanente Replizieren einer Form, die aus dem späten 19. Jahrhundert stammt, zeitgemäß ist, oder ob man einen Roman nicht formal und mit einer Sprache, die zu unseren Kommunikationsformen passt, aufbohren muss.

STANDARD: Sie beziehen in Ihrer Literatur immer wieder Stellung, indem Sie gesellschaftspolitische Fragen wie ökonomisches Prekariat oder eben Sterbehilfe aufgreifen.

Wisser: Die Debatten in den sozialen Medien zwingen zur schnellen Positionierung, die viel mit der jeweiligen politischen Meinung und dem Tagesgeschehen zu tun hat. Wenn man politische Themen im Großen verstehen möchte, muss man sich aus dem Tagespolitischen zurücknehmen und differenziert hinschauen. Königin der Berge hat wenig mit Parteipolitik zu tun.

STANDARD: Der Roman bietet auch keine einfache Lösung an.

Wisser: Romanplots sind oft darauf angelegt, dass sich die Leserin, der Leser mit der Hauptfigur identifiziert. Der Held soll Probleme haben und sie bewältigen. Das Ganze soll also einen guten Ausgang, ein Happy End haben. In meinem Roman möchte der Held sterben. Gäbe es ein Happy End, wäre es der Tod.

STANDARD: Sie haben sich bei der Preisverleihung am Montag als Österreicher und Autor, aber nicht als österreichischer Autor bezeichnet. Wie darf man das verstehen?

Wisser: Inzwischen ist das Etikett österreichische Literatur, das eine gewisse Zeit seine Berechtigung hatte, hinderlich. Ganz so, als wäre es eine Extrakategorie, die es auch noch geben muss. Ich finde, wenn man ein Buch in deutscher Sprache schreibt, muss es sich im Diskurs mit der deutschsprachigen Literatur messen. Für mich ist mit dieser Zuschreibung eine Einschränkung verbunden, gegen die ich mich wehre, und ich würde den Ausrichtern des Österreichischen Buchpreises raten, ihn – wie den Deutschen Buchpreis – für alle deutschsprachigen Neuerscheinungen zu öffnen und sich nicht auf österreichische Beiträge zu beschränken.

STANDARD: Die Buchpreis-Dramaturgie mit Longlist, Shortlist und der Preisverleihung, zu der man als Autor antrabt, ohne zu wissen, ob man gewinnt, halten manche für entwürdigend. Eine Zumutung oder Teil des medialen Spiels?

Wisser: Beides, ich bin oft unter denen gesessen, die nicht gewonnen haben. Ich persönlich würde einfach den Preis verlautbaren und den Preisträger ehren. Zum anderen erregt die Dramatisierung Aufmerksamkeit. Auch für die Literatur. Es ist wie beim Bachmannpreis: Wenn man mitmacht, lässt man sich auf das alles ein und darf sich nicht beklagen. (Stefan Gmünder, 7.11.2018)