Menotti war bis 2011 Raucher und ein "Idiot", wie er sagt.

Foto: imago/Sven Simon

Der Größte unter den argentinischen Fußballern hat dem Größten unter den argentinischen Fußballlehrern schon vor Tagen seine Reverenz erwiesen. "Die Zeit verstreicht, aber die Bewunderung ist immer noch dieselbe. Gratulation zum 80.", schrieb Diego Maradona an César Luis Menotti, unter dem der "Goldjunge" 1979 Junioren-Weltmeister geworden war.

Im Jahr davor hatte der charismatische Coach den 17-jährigen Maradona für noch nicht reif genug befunden, um mit der Albiceleste bei der erwachsenen Heim-WM zu reüssieren. Nicht wenige erklärten "El Flaco", den Dürren, deshalb für verrückt. Nachdem Mario Kempes und Kollegen die Niederländer Ernst Happels im rauschenden Finale zu Buenos Aires mit 3:1 nach Verlängerung bezwungen hatten, waren die Zweifel an Menotti dahin. Dessen eigene Zweifel klangen nie ab und wurden viel später zur Verzweiflung. Schließlich hatte er als Kommunist mit Parteibuch der Militärdiktatur die Gelegenheit zum Ausschlachten eines Triumphes gegeben und sie zeitnah nur indirekt kritisiert ("Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt"). Er habe wohl gewusst, welchen Herren er gedient hatte, sagte Menotti später, das wahre Ausmaß der begangenen Gräueltaten sei ihm aber nicht bewusst gewesen.

"El Flaco" 1981 mit 42 Jahren als Cheftrainer der Argentinier. Links: Diego Maradona.
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"Ein Minimum an Ordnung und ein Maximum an spielerischer Freiheit", lautete sein Trainercredo schon, als er mit Außenseiter CA Huracán 1973 den argentinischen Meistertitel geholt hatte. "Offensiv, sauber, fröhlich" statt nur ergebnisorientiert wollte er immer spielen lassen. Sein "linker" Fußball feierte Erfolge, ging aber auch schief. Im Jahr nach dem Scheitern der Weltmeister im Schatten des zu Ende gehenden Falklandkrieges bei der WM 1982 in Spanien gab er die Selección ab. Für Argentiniens Verband AFA blieb Menotti ein "eterno campeon", ein ewiger Champion.

Als solcher tingelte der starke Raucher durch die Fußballwelt. "Ein Toptrainer, aber wenn er mit einem Spieler geredet hat, hat er gefragt, ob es Frau und Kindern gutgeht. Ansonsten saß er auf der Bank und rauchte 50 Zigaretten", beschrieb Bernd Schuster, mit dem er 1983 beim FC Barcelona die Copa del Rey gewonnen hatte, Menottis Arbeitsweise. Die war noch bis 2008 bei zehn weiteren Klubs und für ein Jahr auch bei der Auswahl Mexikos zu beobachten. 2011 schwebte der Mann aus Rosario, der dem Fußball den intellektuellen Überbau besorgte, infolge einer Lungenentzündung in Lebensgefahr – das Ende einer Raucherkarriere. Seither versucht sich Menotti vergebens mit einer stets griffbereiten Packung seiner Lieblingszigaretten.

Vermächtnis, Versäumnis

Im vergangenen April hat Menotti seine virtuelle Trainerschule veröffentlicht. "Bevor ich sterbe, wollte ich etwas hinterlassen." Der Tod, so wünscht er wohl, möge wie dereinst sein Vater schlampen. "Ich bin eigentlich am 22. Oktober geboren, aber anscheinend hat mein Vater bei meiner Geburt gesagt: 'Lasst uns etwas abwarten, bevor wir ihn wegwerfen.'" In Wahrheit war der Arzt Antonio Menotti zwei Tage nach der Geburt verreist und musste bei seiner Rückkehr feststellen, dass die Frist zur Einschreibung des Kindes am Standesamt verstrichen war. Weshalb er kurzerhand den 5. November als Geburtsdatum angab. (Sigi Lützow, 6.11.2018)