Angesichts drei Billionen Tonnen antarktischen Eises, die sich seit 1992 verflüssigt haben, ist das von der Kunsthalle beschworene Bild gar nicht mehr so stimmig: die antarktischen Gletscher als Symbol für die soziale Eiszeit und erkaltete Herzen in Politik und Gesellschaft. Aber erstens redete in den 1960ern, als Filmemacher Michelangelo Antonioni das Szenario näherrückender Eiskolosse als Idee notierte, noch niemand von globaler Erwärmung. Und zweitens ist vom Besuch des Südpols im Seidenblüschen auch heute noch abzuraten.

Tobias Zielony: "Mask", 2017 (aus der Serie "Maskirovka")
Foto: Tobias Zielony, Courtesy der Künstler und KOW, Berlin

Der Schau Antarktika dient der Gletscherkontinent als Symbol für eine Erstarrung der Gefühle, für ein unterkühltes Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt und letztlich zu sich selbst. Er wird zum metaphorischen Vehikel für eine Zustandsdiagnose über die Welt: Inzwischen hat die Entfremdung alle Lebensbereiche erfasst.

Selbst die innigste Form von Beziehung – die amouröse – wird in der von Nicolaus Schafhausen und Vanessa Joan Müller kuratierten Ausstellung zum kantigen Kühlaggregat: In Joanna Piotrowskas Fotos homosexueller Paare tun sich zwischen den Körpern atmosphärische Schluchten auf. Dort, wo keine Herzenswärme zu erwarten ist, muss selbst Hand angelegt werden: die rechte streichelt die linke. Ein kleiner Film zeigt diese tristen Berührungen, die im Fall der nächsten Panikattacke als Therapeutikum wirken sollen.

Joanna Piotrowska, "V, Frowst", 2013–2014
Foto: Courtesy Southard Reid, London

"Das Schlimmste daran ist, dass wir alle menschlich sind", sinniert eine strebsame Bankangestellte im Film Crisis & Control von Burak Delier. Die Motivation könne darunter sehr leiden, setzt die in Pumps und Businesskostüm Yoga Praktizierende nach. (Das Turnen auf Bürotischen scheint übrigens ein neuer Topos zu sein, sobald es um Leistungsprinzip und Selbstoptimierung geht. Auch Anna Witt hat in Körper in Arbeit im Office performen lassen.)

Die Ausstellung macht frösteln. Nicht allein wegen des weichgespülten Neoliberalismussprechs der Karrieristinnen in Deliers Film. Schuld ist vielmehr die Sterilität der versammelten Kunst. Die fensterlose, von einem auch nur irgendwie belebten Außen völlig isolierte Halle verstärkt dieses Gefühl von Asepsis.

Buck Ellison, Untitled (Christmas Card #6), 2018
Foto: Buck Ellison

Inmitten dieser Keimfreiheit fragt man sich schon, ob man nichts fühlen darf, wenn es um Entfremdung geht? Fotos von perfekten, wie aus der Ralph-Lauren-Reklame entsprungenen Familien (Buck Ellison) lösen den gleichen Effekt aus wie Werbung in Fashionmagazinen: Weiterblättern! Emotionslos nickt man auch Andrzej Steinbachs Fotoserie ab, die mit den Codes der Modeindustrie spielt. Die Glätte der Bilder lässt das Auge abrutschen.

Isabella Fürnkäs: "In Ekklesia", 2015, Videostill
Foto: Isabella Fürnkäs

Ian Wallace versucht es dagegen mit der Bratpfanne: Damit die traurige Isolierung des Individuums wirklich jeder kapiert, werden zwei einander Gegenüberstehende von massigen Farbflächen getrennt. Das Duo Jeroen de Rijke und Willem de Rooij umkreist mit der Kamera einen echten Eisberg. Der verbleibt aber in diffuser Unschärfe. 15 Minuten Langeweile, die man beliebig mit Bedeutungen füllen kann.

Nur zweimal brechen sich Emotionen Bahn: wenn Isabella Fürnkäs im schnellen Schnitt zwischen tanzenden Ravern und agilen Montagerobotern (In Ekklesia) Gefühle von Einsamkeit evoziert. Oder in Ingel Vaiklas berührendem Porträt eines Klosters, das von den letzten Nonnen verlassen wird: "Eure Schritte, euer Rhythmus wurden zum Atem des Raums." Doch mitten hinein in die emotionale Kraft entfaltende Stille blökt der Sound eines anderen Films. Fazit: Gefrierpunkt. (7.11.2018, Anne Katrin Feßler)

Ingel Vaikla: "Roosenberg", 2017, Videostill
Foto: Ingel Vaikla