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Wahlen in den USA bleiben für die Europäer nie ohne Wirkung.

Foto: REUTERS/Eric Thayer

Viele Europäer schauten in diesen Tagen der Kongresswahlen besorgt in die USA und stellen sich die Frage, ob die Brutalisierung und Polarisierung der amerikanischen Politik im Gefolge der Wahl von Präsident Donald Trump noch steigerbar ist. Oder ob die US-Bürger nach einer Schockwelle vulgärer Spaltung der Gesellschaft in einfache Muster von schwarz und weiß sowie gut und böse nun wieder moderateren Politikern den Vorzug geben.

Wahlen in den USA bleiben für die Europäer nie ohne Wirkung. Aber in Europa, so könnte man glauben, haben wir es ohnehin besser. Da ist der Vormarsch von Rechtspopulisten bis in Regierungen hinein, die Grundrechte, Rechtsstaat und EU-Recht mit Füßen treten, auch besorgniserregend. Hier sagen extrem Rechte wie der italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini inzwischen ganz offen, dass es mit der EU und dem Euro ohnehin "bald vorbei sein" werde.

Dennoch: Es handelt sich um Phänomene, die einzelne Mitgliedsländer betreffen, wenngleich zuletzt ein so wichtiges wie Italien. Aber im Ganzen gesehen zeichnet sich die politische Landschaft in Europa durch Vielfalt, durch inhaltliche Breite aus. Man kann das im Europäischen Parlament gut sehen. Acht Fraktionen mit an die 150 Parteien aus 28 Ländern sind vertreten: von ganz links über grün, sozial-, christdemokratisch und liberal bis rechts und ganz rechts.

Die verstreuten Rechtspopulisten sind zwar laut und radikal im Reden, aber zahlenmäßig bescheiden. Sie stellen nicht einmal hundert von 751 EU-Abgeordneten. Eine im Schnitt nach wie vor sehr große Mehrheit von zwei Dritteln der EU-Bürger "glaubt" auch nach wie vor, dass die EU sinnvoll und also zum Nutzen aller ist. Das geht aus den regelmäßigen Umfragen von Eurostat hervor. Tendenz sogar steigend, bedingt durch die Ängste vor den Folgen des Brexits.

Der Schein trügt

Aber so wie schon vor zwei Jahren in den USA gibt es nun starke Anzeichen, dass der Schein trügt. Dass auch den Europäern auf der gesamteuropäischen Ebene die politische Spaltung, eine Zertrümmerung der vielfältigen Parteienlandschaft, vor allem das weitere Zerbröseln der politischen Mitte, der Volksparteien droht – von Christdemokraten und Sozialdemokraten.

Das lässt sich bereits gut an den Vorbereitungen der "Parteifamilien" auf die Europawahl 2019 ablesen. Der Wahlkampf dürfte fast ganz ins Fahrwasser einer bisher so noch nie da gewesenen Polarisierung in zwei Lager geraten: in jene, die "Proeuropäer" sind, also für die Integration, und in jene, die "diese EU" ablehnen, die sie wenigstens zurückbauen, wenn nicht auflösen wollen. Die gängigen politischen Kategorien, ob man eher für eine soziale oder ökologische oder für eine liberale oder konservative Gesellschaftspolitik steht, drohen dabei ins Hintertreffen zu geraten.

"Alle gegen rechts" lautet die Devise, bei den Grünen, den Roten, bei den Liberalen und nun beim Parteikongress in Helsinki auch bei den Christdemokraten. Losgetreten hat diese Welle Präsident Emmanuel Macron, der mit seiner Bewegung En Marche die französische Parteienlandschaft zertrümmerte. Für ihn ist die Europawahl 2019 eine Entscheidungsschlacht zwischen jenen, die für die liberale Demokratie stehen, und jenen, die für die "illiberale Demokratie" von Viktor Orbán stehen.

Das ist nicht falsch, aber es birgt im vielfältigen Parteieneuropa auch eine Gefahr: Von starker Polarisierung profitieren meist eher die Extremen, sprich die antieuropäischen Rechten. (Thomas Mayer, 6.11.2018)