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Das UN-Hauptquartier in New York: Hier soll ab 2020 alle vier Jahre über Fortschritte bei der Umsetzung des Migrationspakts befunden werden – aber ohne Sanktionen für Staaten, die wenig oder nichts tun.

Foto: AP Photo/Richard Drew

Wien – Die türkis-blaue Bundesregierung sieht ein "Menschenrecht auf Migration" entstehen und will deshalb aus dem UN-Migrationspakt aussteigen. Im diesbezüglichen Ministerratsvortrag wird vor einer "Verwässerung von legaler und illegaler Migration" gewarnt – und die Vermutung geäußert, durch "Völkergewohnheitsrecht, Soft Law oder internationale Rechtssprechung" könne der Pakt rechtsgültig werden.

Für die FPÖ kritisierte Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Inhalte des Dokuments massiv. In FPÖ-nahen Medien ist ganz konkret von Grenzöffnungen die Rede, die der Pakt den Staaten auftrage. Stimmt das? Was genau sieht der UN-Migrationspakt vor? Was soll er bewirken? Wie verbindlich sind seine Ziele – und durch welches Prozedere, soll er Verbindlichkeit erlangen?

Pakt mit langer Vorlaufzeit

Der "Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration" – im Ministerratsvortrag wird er falsch "Globaler Pakt für sichere, geordnete und planmäßige Migration" genannt – ist das Ergebnis jahrelanger Beratungen auf UN-Ebene. 2006 sowie 2013 gab es bei den Vereinten Nationen Dialoge über internationale Migration und Entwicklung zwischen den Mitgliedstaaten, 2007 wurde das Globale Forum für Migration und Entwicklung ins Leben gerufen.

Auf diesen Plattformen wurde die New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten erarbeitet. In deren Rahmen wurde vereinbart, einen Globalen Pakt für Flüchtlinge – derzeit noch in Vorbereitung – sowie den gegenständlichen Globalen Pakt für Migration zu erstellen: Das Thema Flucht und das Thema Migration werden also getrennt verhandelt.

Österreich hat sich an diesen Aktivitäten und Verhandlungen bis zum nunmehrigen Rückzieher immer beteiligt.

Was bezweckt der Pakt?

Er definiert einen pragmatischen Zugang: Die Zusammenarbeit im Bereich der internationalen Migration soll verbessert werden. Migration wird positiv und als "Teil der Menschheitsgeschichte" definiert.

Sie wird aus einer "360-Grad-Perspektive" betrachtet, was bedeutet, dass die Interessen aller Staaten der Erde gleichermaßen berücksichtigt werden sollen, egal, ob sie arm oder reich, mit Auswanderung oder mit Einwanderung konfrontiert sind. Daraus ergibt sich ein weiter Interpretationsspielraum der Inhalte.

Was steht in dem Pakt?

Das 32 Seiten umfassende Papier beinhaltet eine Präambel, ein Kapitel zu "Visionen und Leitlinien", einen "Kooperationsrahmen", 23 "Ziele und Verpflichtungen" sowie je ein Kapitel zu "Umsetzung" sowie zur "Weiterverfolgung und Überprüfung". Es basiert auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus 1948 und einer Vielzahl darauffolgender, mit dem Phänomen Migration in Zusammenhang stehender UN-Dokumente.

Die 23 Ziele des Pakts

Diese bauen auf dem, so steht es in dem Papier, "Paket von Verpflichtungen" auf, die sich aus der oben genannten New Yorker Erklärung ergeben – und die Österreich wie alle 193 UN-Mitgliedstaaten mitverabschiedet hat. Die Bandbreite reicht dabei von einer Verbesserung der globalen Datenlage über Maßnahmen, um Verelendung und Repression, die zu Auswanderung führen, zu verhindern, bis hin zu besserem Schutz von Menschen während ihrer Wanderung sowie im Aufnahmestaat.

Wird das zu Grenzöffnungen führen – und wird es legale mit illegaler Migration verwässern?

Wie schon der Name des Pakts verrät, sollen "sichere, geordnete und reguläre" Wege für Migranten geöffnet werden. Die illegale Migration hingegen will man, etwa durch Maßnahmen in den Herkunftsstaaten, zurückdrängen

.Im Endergebnis soll das zu mehr legaler und weniger illegaler Migration mit all ihren Gefahren führen – also zu einer umfassenderen Verrechtlichung und zu neuen Abgrenzungen. Als Verwässerung kann das nur interpretieren, wer die derzeit geltenden Regelungen als unverrückbar begreift.

Auch sollen alle im Pakt vorgeschlagenen Maßnahmen unter Beachtung des "souveränen Rechts der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen" (so der Wortlaut in dem Dokument), stattfinden. Da die Grenzsicherung eine – in der EU durch Unionsrecht eingeschränkte – staatliche Aufgabe ist, sind auf Grundlage des Pakts keine unfreiwilligen Grenzöffnungen zu erwarten.

Wie verpflichtend ist der Pakt für die beteiligten Staaten?

"Dieser Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar", ist auf Seite drei des Pakts zu lesen. Der von FPÖ-Chef Strache beauftragte Völkerrechtsexperte Michael Geistlinger meint dennoch, dass sich "über einen Zeitraum von zehn Jahren" entsprechende völkerrechtliche Gewohnheitsrechte ergeben könnten. Damit widerspricht der Rechtswissenschafter den meisten anderen Befragten, etwa dem Menschenrechtsexperten Manfred Nowak.

Fakt ist, dass ab 2020 im Rahmen der UN-Generalversammlung alle vier Jahre ein "Überprüfungsforum Internationale Migration" tagen und eine "Fortschrittserklärung" zu den paktgebundenen Maßnahmen verabschieden soll. Sanktionen, so es keine Fortschritte gibt, sind aber keine vorgesehen.

Wie tritt der Pakt überhaupt in Kraft?

Anders als zuletzt etwa von der kroatischen Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović kolportiert, die sich nach dem Ausstieg Österreichs ebenfalls von dem UN-Dokument distanziert, muss niemand es unterzeichnen. Der Pakt wird bei einer UN-Konferenz am 10. und 11. Dezember in Marokko per Akklamation angenommen, sozusagen in einem feierlichen Rahmen in Anwesenheit der Staatenvertreter.

2019 soll er in der UN-Generalversammlung behandelt werden und schließlich in eine Resolution münden, die aber ebenfalls nicht rechtlich bindend wäre.

Wer aller nicht mitmacht

Zu den beiden Staaten USA und Ungarn, die bereits vor Österreich ihren Ausstieg deklariert hatten, ist bis dato kein weiteres Land verbindlich hinzugekommen. Australien, die Schweiz, Tschechien, Polen, Slowenien und Kroatien erwägen einen Ausstieg. In Deutschland diskutiert die CDU darüber. (Irene Brickner, 7.11.2018)