Der Kirchenfürst und sein Premier: Hieronymus II., das Oberhaupt der orthodoxen Kirche Griechenlands, hat ein bemerkenswert gutes Verhältnis zu Alexis Tsipras, dem linken Atheisten. Der schraubte seine Forderung nach einer strikten Trennung von Staat und Kirche in einem der sozial konservativsten Länder Europas zurück. Parallel zu den geplanten Verfassungsänderungen soll nun das Prinzip einer Neutralität der Kirche festgeschrieben werden.

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Weihrauch und Mitra, die imposante Kopfbedeckung der orthodoxen Bischöfe, jagen den Linken keine Angst ein. Doch sehr wohl die Macht der griechischen Kirche, wenn sie nur will, praktisch zu jedem politischen Thema den Volkszorn anzustacheln. Der Einfluss der orthodoxen Kirche auf den Staat ist kaum zu überschätzen. "Niemand kann sie anrühren", raunte ein Regierungspolitiker der linksgerichteten Syriza noch im vergangenen Sommer beim Gespräch am Cafétisch.

Aber dann trat Alexis Tsipras, der Atheist und linke Premier, diese Woche mit dem Erzbischof vor die Presse. Tsipras überraschte einmal mehr seine Gegner wie seine Sympathisanten. Der 44-jährige politisch angeschlagene Regierungschef hatte es geschafft, am Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Griechenland zu rütteln. Nicht ganz so, wie er es versprochen hatte, aber immerhin.

Kein Beamtenstatus mehr

15 Punkte lang ist die Übereinkunft, die Tsipras und Hieronymus II. am Dienstag in der Villa Maximou, dem Amtssitz des griechischen Premiers in Athen, vorstellten. Griechenlands Kleriker sollen fortan nicht mehr wie Beamte vom Staat, sondern durch die Kirche entlohnt werden; dafür subventioniert der Staat entsprechend die Kirche. Staat und Kirche bilden auch ein gemeinsames Gremium zur Nutzung von Grundbesitz und Immobilien der Kirche.

Vor allem aber fordern Tsipras und seine Linke seit jeher die klare Trennung von Staat und Kirche im Land. Von "unterschiedlichen Rollen" sprach der Regierungschef zuletzt, als er den länglichen Prozess zu einer umfassenderen Reform der Verfassung startete. Geworden ist daraus nun eine vorsichtige Formulierung zur "Neutralität" der Kirche. Im Artikel 3 der Verfassung soll es weiter heißen: "Die vorherrschende Religion in Griechenland ist jene der Östlichen Orthodoxen Kirche Christi." Das freute Hieronymus. Wenngleich künftig ein Zusatz im Verfassungsartikel stehen soll, dem zufolge die Position der orthodoxen Kirche nicht zulasten anderer Religionen gehen solle.

Viel Verständnis

Von der Fäuste schwingenden Animiertheit eines Don Camillo und Peppone sind der Athener Erzbischof und der Linkssozialist weit entfernt. Seit dem Regierungsantritt der radikalen Linken vor bald vier Jahren zeigt Hieronymus auffallend viel Verständnis für den halb so alten Tsipras. Der Premier wiederum lässt Vorsicht walten. Kirchenstürmer wie den Parteigenossen und ehemaligen Bildungsminister Nikos Filis etwa räumte Tsipras umstandslos aus dem Kabinett, als sich zu viel Streit über den Religionsunterricht in den Schulen angesammelt hatte. Ein Gesetz zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften brachte der Regierungschef nur in – gemessen an seinen früheren Wahlversprechen – verwässerter Form Ende 2015 durchs Parlament.

Die lautstarken klerikalen Gegner der Regierung sitzen nicht im Amt des Erzbischofs von Athen und Griechenland. Serafim, der Metropolit von Piräus, oder Andreas von Dryinoupolis im Nordwesten Griechenlands zählen zu den rechtsgerichteten Kirchenfürsten, die sich in die Tagespolitik einmischen, ohne dass sie vom Erzbischof zur Ordnung gerufen werden könnten.

Projekt Verfassungsreform

Das 15-Punkte-Abkommen zwischen Tsipras und Hieronymus soll den Weg zu weiter gefassten Verfassungsänderungen ebnen. Dabei geht es um Wahlgesetzreformen, auch um die präzisere Regelung von Referenden und um die Abkoppelung der Präsidentenwahl im Parlament von der Auflösung des Parlaments. Beides hatte Tsipras ironischerweise für seine Zwecke genutzt. Im Dezember 2014 vereitelte er mit seiner Parlamentsfraktion die Wahl eines neuen Staatschefs und führte damit vorgezogene Parlamentswahlen herbei, die er dann gewann. Im Sommer 2015, auf dem Höhepunkt des Ringens mit den Gläubigern in der EU, setzte er kurzfristig ein Referendum über ein Kreditabkommen an, dessen Ausgang – ein klares Nein – er dann in den Auftrag zur Unterzeichnung eines neuen Kreditvertrags verkehrte.

Über die Verfassungsänderungen wird wohl erst das nächste Parlament mit Zweidrittelmehrheit entscheiden. Für Tsipras aber sind sie ein Vehikel, um den Wählern Syriza als gesellschaftliche Reformkraft zu präsentieren und die Ära der Sparprogramme vergessen zu machen. Die Beilegung des Namensstreits mit Mazedonien gehört auch dazu. Für die Ratifizierung dieses Abkommens genügt die absolute Mehrheit im Parlament. Allerdings wird darüber Tsipras' Koalition mit den Rechtspopulisten der Partei Anel zerbrechen. Vorgezogene Neuwahlen werden für Mai 2019 erwartet, zeitgleich zu den Europa- und den griechischen Kommunalwahlen. (Markus Bernath, 7.11.2018)